Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Rossdorf mit Gundernhausen (Kreis Darmstadt-Dieburg)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde   
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen   
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen   
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)    
    
In Rossdorf bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. 1770 gab es drei jüdische Familien am Ort. 
   
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1828 40 jüdische Einwohner, 1861 49 (2,6 % von insgesamt 1.908 Einwohnern), 1880 48 (2,1 % von 2.313), 1900 62, 1910 61 (1,9 % von 3.199). Die jüdischen Familienvorsteher verdienten den Lebensunterhalt als Kleinkaufleute, Viehhändler und Metzger. Auch in Gundernhausen lebte - zumindest im 19. Jahrhundert - zeitweise eine jüdische Familie (1830 mit fünf Personen).  
    
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule und ein rituelles Bad (vermutlich in einem Badhäuschen neben der Synagoge). Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. die vorübergehende Einstellung eines polnischen Lehrers 1885 s.u., letzter Lehrer war Raphael Scher). Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II.   
  
Um 1924, als noch 49 Personen der jüdischen Gemeinde angehörten (1,5 % von insgesamt 3.289 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Hermann Simon, Hermann Mai I und Hermann Mai II. Als Lehrer der Gemeinde war der bereits genannte Raphael Scher angestellt. Er unterrichtete auch die jüdischen Kinder in Ober-Ramstadt1932 war Vorsteher der Gemeinde weiterhin Hermann Simon. Raphael Scher wird weiterhin als Lehrer, Kantor und Schochet genannt.     
  
1933 lebten noch 45 jüdische Personen (in 15 Familien) in Roßdorf (1,3 % von insgesamt 3.521 Einwohnern). In den folgenden Jahren ist ein Großteil von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Im Mai 1939 lebten noch zwei jüdische Personen am Ort.
   
Von den in Rossdorf geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rosa Bamberger geb. May (1901), Anita Flora Ehrlich (1929), Frieda Ehrlich (1893), Hermann Ehrlich (1891), Kathinka Ehrlich (1888), Nathan Ehrlich (1896), Werner Fleischhacker (1936),  Rosalie Höxter geb. Ehrlich (1853), Fanny Junker geb. Strauß (1868), Jenny Löwenstein geb. Marx (1888), Ida Marx (1885), Recha Marx (1899), Flory May (1910), Hermann May (1869), Hermann May (1871), Moses May (1864), Regina May geb. May (1873), Ernst Hermann Mayer (1928), Johanna Mayer geb. Simon (1899), Ida Meyer geb. Strauss (1871), Charlotte Moses geb. Marx (1891), Hermann Simon (1865), Hermann Simon (1872), Selma Simon geb. Ehrlich (1899), Rosa Sternfeld geb. Simon (1871), Gertrude Wolf geb. Simon (1874), Nathan Wolf (1886). 
    
Hinweis: es gab auch in Roßdorf (heute Ortsteil von Amöneburg, Kreis Marburg-Biedenkopf) wenige jüdische Familien, die zur jüdischen Gemeinde in Mardorf gehörten. In der Liste des "Gedenkbuches" werden viele der unter Roßdorf aufgeführten Personen dem oberfränkischen Ort "Roßdorf am Forst" zugewiesen. Dort gab es jedoch keine jüdische Gemeinde.   
   
   
   
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1885 

Rossdorf DA Israelit 02111885.jpg (35375 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. November 1885: "Die hiesige israelitische kleine Gemeinde sucht einen tüchtigen Vorsänger, Schochet und Religionslehrer. Bevorzugt werden unverheiratete Bewerber; jedoch sind gute Zeugnisse erforderlich.  
Meldungen nimmt entgegen der Vorsteher Z. Simon in Roßdorf bei Darmstadt."     

        
Der polnische Lehrer muss ausgewiesen werden (1885)  

Rossdorf DA Israelit 17121885.JPG (109518 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Dezember 1885: "Darmstadt, 14. Dezember (1885). Über die von uns in der Beilage zu dieser Nummer gebrachte Meldung, nach welcher ein Pole aus Hessen ausgewiesen worden sei, erhalten die 'N.H.B.' seitens des hiesigen Kreisamtes eine Berichtigung, die auch wir zur Kenntnis unserer Leser bringen wollen. Sie lautet: 
'Der betreffende Lehrer wirkte nicht seit etwa sechs Monaten in der Nähe von Darmstadt, sondern war erst im Monat November dieses Jahres von der israelitischen Religionsgemeinde Roßdorf, vorbehaltlich unserer Genehmigung, zum Religionslehrer bestellt worden. Derselbe ist nicht von uns ausgewiesen worden, vielmehr wurde ihm, weil er nicht im Besitz von genügenden Papieren war, aufgegeben, einen Reisepass oder eine sonstige, seine Person legitimierende und seine Staatsangehörigkeit nachweisende Urkunde von seiner russisch-polnischen Heimatbehörde beizubringen, und ihm hierzu am 2. laufenden Monats eine Frist von 8 Wochen gewährt. Dieser Nachweis musste, abgesehen davon, dass wir eine nicht gehörig legitimierte Persönlichkeit nicht als Religionslehrer einer israelitischen Religionsgemeinde bestätigen können, deshalb verlangt werden, weil der Betreffende bei seiner möglicherweise demnächst eintretenden Hilfsbedürftigkeit, Mangels eines Nachweises über seine Zuständigkeit, unserem Landarmenverband dauernd zur Last gefallen sein würde. Großherzogliches Kreisamt Darmstadt. v. Marquard."       

   
   
Aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Die jüdischen Familien sind von Einquartierungen an Jom Kippur befreit (1884)

Rossdorf Israelit 02101884.jpg (33210 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Oktober 1884: "Roßdorf bei Darmstadt. Einen Akt der Toleranz kann ich Ihnen von unserem hiesigen Bürgermeister mitteilen. Die Einquartierung kam nämlich gerade zu Jom Kippur in unser Städtchen und ordnete deshalb unser Herr Bürgermeister an, dass sämtliche hiesigen Juden Einquartierung nicht zuzuteilen sein."       

    
  
Berichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde   
  
Goldene Hochzeit von Mordechai May und Jettchen geb. Lippmann (1902)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Dezember 1902: "Aus Hessen. In Roßdorf feierten am Mittwoch, 17. Dezember (1902), Herr Mordechai May und dessen Ehefrau Jettchen geb. Lippmann aus Bauschheim, im engsten Familienkreise das seltene Fest der goldenen Hochzeit, eine Feier, welche in hundert Jahren hier nicht vorgekommen ist. Möge es dem Jubelpaare, das sich noch bester Gesundheit und Rüstigkeit erfreut, beschieden sein, auch das diamantene Jubiläum zu feiern. - N. -"    

     
70. Geburtstag von Gemeindevorsteher Hermann May (1928)        

Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 3. Februar 1928: "Darmstadt. (70. Geburtstag). Im benachbarten Roßdorf beging der erste Vorsteher Hermann May (für verschrieben: Marx) seinen 70. Geburtstag. Seit etwa 32 Jahren hat der Jubilar die Interessen der Gemeinde mit Eifer und Umsicht vertreten; mancherlei Aufmerksamkeiten aus Freundes- und Bekanntenkreisen legten Zeugnis von der allgemeinen Wertschätzung ab, deren er sich überall erfreut. Bemerkenswert ist, dass ihm anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums vom damaligen Großherzog von Hessen eine Ehrenurkunde für treue Dienste nebst Medaille verliehen wurde."             

    
    
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen   
Anzeige der Witwe von Marx May II. (1901) 

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Juni 1901: 
"Suche per sofort einen Lehrjungen für meine Metzgerei. Schabbat und Feiertag streng geschlossen. 
Marx May II. Witwe,
 
Roßdorf bei Darmstadt."  

   
Anzeige des Metzgermeisters W. Flehinger (1921)     

Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 19. Mai 1921: "Kräftiger Lehrjunge 
für meine Metzgerei (Samstags und israelitische Feiertage geschlossen) gesucht
W. Flehinger
, Rossdorf bei Darmstadt."        

    
    
    
Zur Geschichte der Synagoge           
    
Zunächst (Mitte des 18. Jahrhunderts) war vermutlich ein Betraum in einem der jüdischen Häuser vorhanden. Eine Synagoge wurde 1874 (oder 1877) erbaut, möglicherweise an Stelle des bisherigen Hauses mit dem Betraum. 1920 wurde die Synagoge gründlich renoviert. Das Gebäude war etwa 7 mal 10 m groß. Über das Aussehen der ehemaligen Synagoge liegen jedoch keine genauen Informationen vor. Ein historisches Foto wurde noch nicht gefunden (Rekonstruktionszeichnung siehe unten). 
  
Nach 1933 ging die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder stark zurück, wodurch kein Minjan mehr zustande gekommen ist (notwendige Zehnzahl der jüdischen Männer zum Gottesdienst). 1937 wurde die Synagoge an eine nichtjüdische Familie verkauft. Der Verkauf war erforderlich, da die Evangelische Kirchengemeinde ihren Kredit kündigte, den sie der Gemeinde 1879 gewährt hatte. 
 
Beim Novemberpogrom 1938 wollten ortsansässige Nationalsozialisten das Gebäude dennoch in Brand setzen; schließlich beschränkten sie sich auf das Einwerfen der Fensterscheiben und Zerstörung von Teilen des Daches. Auch die am First befindlichen Gebotstafeln wurden heruntergerissen und in Stücke geschlagen. Das Gebäude wurde später zu einem Wohnhaus umgebaut. Durch den Umbau wurde das rechteckige Gebäude zum einem fast quadratförmigen umgebaut (vgl. Plan unten). Auch das Grundstück das Badhäuschens ist überbaut worden. 
 
Am 11. Mai 2011 wurde bei einer Gedenkstunde mit Schülern aus der Rehberg-Grundschule und aus der Justin-Wagner-Gesamtschule sowie Mitgliedern des Kulturhistorischen Vereins R0ßdorf e.V. und weiteren Interessierten eine Informationstafel zur Erinnerung an die Synagoge am Haus der ehemaligen Synagoge an der Darmstädter Straße angebracht.   
Im Januar 2019 wurde am sogenannten "Jurregässje" (Bereich Darmstädter Straße 1,3,5 und 7, Sackgasse gegenüber dem Rathaus) eine Hinweistafel angebracht, die die Erinnerung an das "Jurregässje" wachhält (siehe Pressebericht unten).  
  
  
Adresse/Standort der SynagogeGrundstück Darmstädter Straße 1   
  

  
Fotos     
(Quelle: Plan und Foto von 1987: Altaras 1988 und 2007² s.Lit.; Rekonstruktionszeichnung in einem Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde in Rossdorf zum Gedenken an die Pogromnacht im November 2008, pdf-Datei

  Historische Fotos sind noch nicht vorhanden; über Hinweise oder Zusendungen freut sich 
der Webmaster der "Alemannia Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite.
     
Plan des Synagogengrundstückes 
und seiner Umgebung und Rekonstruktionszeichnung
Rossdorf Synagoge 270.jpg (32053 Byte) Rossdorf Synagoge 200.jpg (57352 Byte)
  Der Plan zeigt (dunkel schraffiert) die 
Gebäude der israelitischen Gemeinde 1888
 sowie die Bebauung 
nach Stand 1986
Rekonstruktionszeichnung der ehemaligen
 Synagoge in Rossdorf; beim Novemberpogrom
 1938 wurden die Gebotstafeln am First
 heruntergerissen und zerschlagen
      
Die ehemalige Synagoge 
(Gebäude 1987)
Rossdorf Synagoge 271.jpg (56348 Byte)
    Das ehemalige Synagogengebäude wurde zu einem Wohnhaus umgebaut und 
dabei vergrößert (vgl. Plan oben)  
      
Geschichtstafel zur Geschichte von Rossdorf 
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum: 17.3.2009)  
   
Rossdorf Denkmal 903.jpg (68082 Byte) Rossdorf Denkmal 902.jpg (90652 Byte) Rossdorf Denkmal 901.jpg (71067 Byte)
Blick auf das Rathaus 
der Gemeinde
Die Geschichtstafel  Auf der Tafel zum 20. Jahrhundert wird an 
"24 Opfer der Judenverfolgung" erinnert
  
      

   
   
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte 

Mai 2011: Eine Informationstafel zur Erinnerung an die Synagoge wird angebracht 
Artikel in echo-online.de vom 10. Mai 2011: 
Roßdorf rückt Synagoge in den Fokus (veröffentlicht am 10.05.2011 00:05 auf echo-online.de) "    
 
Januar 2019: Erinnerung an das "Jurregässje"  
Artikel von Klaus Holdefehr in echo-online vom 29. Januar 2019: "Roßdorf hat ein 'Jurregässje'
Ein neues Straßenschild sorgt in Roßdorf für Aufsehen, denn die Landkreis-Gemeinde hat jetzt ein 'Jurregässje'. Bei der Enthüllung des Zusatzschilds für die kurze Sackgasse kommt auch die Sache mit dem 'Anstoß' zur Sprache.

ROSSDORF - Die Vergangenheit endlich ruhen lassen? Dieser in Deutschland seit einigen Jahren immer offener und häufiger ausgesprochene Satz ist für rund 60 Roßdörfer am Tag des Holocaust-Gedenkens, an dem sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 74. Mal jährt, Anlass, das Gegenteil zu tun. Sie haben sich in einer kleinen Sackgasse gegenüber dem Rathaus versammelt, um der Enthüllung einer informativen Ergänzung des Straßenschilds beizuwohnen. Es geht um das 'Jurregässje', das amtlich nie so hieß, aber im Volksmund allgemein so genannt wurde, weil sich in der Gasse einst die Synagoge jüdischen Gemeinde in Roßdorf befand. Das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Gebäude steht im Grundsatz heute noch, ist dem Pogrom von 1938 weitgehend entgangen, weil es zu diesem Zeitpunkt schon entwidmet und von der jüdischen Gemeinde verkauft worden war. An dem heutigen Wohnhaus erinnert seit rund acht Jahren eine Gedenktafel an die Vergangenheit des Gebäudes.
Es bedurfte - daran erinnerte Engelbert Jennewein vom kulturhistorischen Verein Roßdorf - damals bereits der Intervention von Bürgermeisterin Christel Sprößler, das Einverständnis des Hausbesitzers zur Anbringung dieser Tafel einzuwerben. Dem pensionierten Lehrer war die vom öffentlichen Raum vor Rathaus und Kirche nicht sichtbare Tafel aber zu wenig. Er gab daher den Anstoß, das Namensschild 'Darmstädter Straße' mit den wenigen Hausnummern der Sackgasse vorne an der Einmündung auf die Hauptstraße um eine zusätzliche Informationstafel zu ergänzen.
Weg 'von der Erinnerung zur Erkenntnis'. In guter demokratischer Übung sollte dies aber nicht ohne das Einverständnis der betroffenen Anwohner geschehen, und zu seinem eigenen Erstaunen musste Jennewein feststellen, dass manche an dieser Idee Anstoß nahmen. 'Auch 2019 gibt es noch Antisemitismus und Engstirnigkeit', sagte er am Sonntag in seiner Ansprache. Das 'noch' drückt freilich optimistisch die Hoffnung auf ein allmähliches Schwinden solcher Haltungen aus. Dass aber im Gegenteil solche Haltung seit Jahren wieder mehr und mehr in der Öffentlichkeit sichtbar wird, erwähnte Karlheinz Rück, der als 1. Beigeordneter die familiär verhinderte Bürgermeisterin vertrat. Der Gemeindevorstand habe daher im November des vergangenen Jahres den Beschluss gefasst, das Straßennamensschild um eine Informationstafel zu ergänzen. Er charakterisierte dies als Antithese zu der Aussage 'Man muss mal einen Schlussstrich ziehen'. Rück erinnerte an eine lebendige jüdische Gemeinde in Roßdorf mit rund 50 Mitgliedern zu Beginn der Nazi-Zeit 1933 und wies auf einen Weg 'von der Erinnerung zur Erkenntnis'. Und er versicherte, dass mit der Informationstafel keinerlei Schuldzuweisung verbunden sei. Auch die evangelische Kirchengemeinde, vertreten durch Pfarrer Wolfram Seeger, beteiligte sich am Gedenken. Seeger erinnerte daran, dass der Bau der Synagoge einst auch durch einen Kredit der evangelischen Kirche ermöglicht wurde. Diese Enthüllung nahm, kurzfristig von ihrem ehemaligen Lehrer Jennewein dazu aufgefordert, um die junge Generation in die Erinnerungsarbeit einzubinden, die 20-jährige Roßdörferin Leah Stroh vor. Auf dem Schild steht: 'Volksmund: Jurregässje Ehem. Standort der jüdischen Synagoge Von 1874 bis zum Verkauf 1938.'" 
Link zum Presseartikel   
 
Januar 2019: Die Hinweistafel für die Synagoge ist nicht bei allen am Ort erwünscht 
Artikel von Silke Sutter in hessenschau.de vom 1. Februar 2019: "'Irgendwann muss doch mal Schluss sein' - Erinnerung an Roßdorfer Synagoge nicht von allen erwünscht.
In Roßdorf bei Darmstadt stand einmal eine Synagoge. Daran erinnert seit Kurzem ein kleiner Hinweis am Straßenschild, der bei einigen Anwohnern auf massiven Widerstand traf: Antisemitismus oder nur ein Kommunikationsproblem?
Engelbert Jennewein freut sich über das kleine blaue Schild, das nun unterhalb des Straßennamens der Darmstädter Straße im Ortskern in Roßdorf hängt. 'Wenn die Leute hier an der roten Ampel halten müssen, dann können alle gut sehen, dass hier mal eine Synagoge gestanden hat. Das gehört einfach zur Roßdorfer Geschichte.'
Früher Synagoge, heute Mehrfamilienhaus. Das Gotteshaus selbst gibt es allerdings schon lange nicht mehr. 1938, noch vor der Pogromnacht, war die Synagoge verkauft und entwidmet worden. Die jüdische Gemeinde hatte damals bereits nur noch sieben Mitglieder. Eine kleine Gedenktafel an der Fassade des Wohnhauses erinnert an seine Geschichte - und nun zusätzlich der Hinweis am Eingang der schmalen Sackgasse. Darüber hatte auch das 'Darmstädter Echo' berichtet.
'Würden Sie in einer Judengasse wohnen wollen?' Jennewein beschäftigt sich viel mit Heimatgeschichte, ist aktiv im Kulturhistorischen Verein in Roßdorf. Die Idee, auf die ehemalige Synagoge hinzuweisen, hatte der Kulturverein schon länger. Jennewein nahm Kontakt zu den Anwohnern der Darmstädter Straße auf, sammelte Spenden. 'Ich habe gefragt, ob die Leute damit einverstanden sind, dass wir den Hinweis 'Jurregässje' ('Judengasse' im Roßdorfer Dialekt) anbringen. Die Reaktion der Anwohner hat mich tief getroffen.' Womit Jennewein nämlich nicht gerechnet hatte: Einige sprachen sich dagegen aus. 'Eine Frau mittleren Alters hat zu mir gesagt: 'Ich will das nicht. Ich kann Juden nicht leiden. Die haben mich betrogen.' Ein anderer meinte: 'Würden Sie in einer Judengasse wohnen wollen?' Und hat dann die Tür zugemacht.'
Nur ein Kommunikationsproblem? Auf die antisemitischen Ausfälle reagierte der Kulturhistorische Verein, indem er das Projekt erst einmal auf Eis legte. 'Gegen den Willen der Anwohner wollten wir das nicht weiter verfolgen', so die Vorsitzende Ursula Bathon. Die Gemeinde Roßdorf sollte darüber entscheiden. Und die handelte. Der Gemeindevorstand beschloss einstimmig, auf die jüdische Geschichte aufmerksam zu machen. 'Gerade in Zeiten von Populismus ist es wichtig, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. So etwas wie damals darf nicht noch einmal passieren', findet Karlheinz Rück, stellvertretender Bürgermeister von Roßdorf. Verständnis für die Reaktion der Anwohner versucht der parteilose Kommunalpolitiker trotzdem aufzubringen: 'Ich denke, das war ein Kommunikationsproblem. Die Leute haben vielleicht gedacht, die Straße soll komplett umbenannt werden." Diese Meinung teilt auch Ursula Bathon: 'Judengasse beschreibt ja eigentlich eine Straße, in der früher Juden gewohnt haben. Das war ja hier nicht so, hier stand lediglich die Synagoge.' Mit der jetzigen Lösung ist sie zufrieden.
Kein Schlussstrich unter die Vergangenheit. Rund 60 Menschen kamen schließlich zur Enthüllung des Hinweisschildes, passend am Tag des Shoah-Gedenkens. Für Engelbert Jennewein ist das ein voller Erfolg: 'Ja, wir können einen Schlussstrich ziehen - darunter, dass schlimme Dinge passiert sind, und zwar auch hier in Roßdorf. Worunter wir keinen Schlussstrich ziehen sollten, sind die Lehren daraus.'"
Link zum Artikel  

  
   

Links und Literatur   

Links:  

bulletWebsite der Gemeinde Roßdorf  

Quellen:   

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Roßdorf mit Gundernhausen 
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Gundernhausen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,410   Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Gundernhausen: Geburtsregister  1775 - 1803, Trauregister  1794, 1802,  Sterberegister 1797 - 1809   https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v131256     
    
Zu Roßdorf sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,752   Geburts-, Trau-  und Sterberegister der Juden von Roßdorf: Jüdisches Geburtsregister 1789 - 1808, jüdisches Trauregister  1804, jüdisches Sterberegister 1790 - 1808     
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v131329    

Literatur:  

bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 233-234.  
bulletThea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 S. 133-137 und dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 115 (keine weiteren Informationen) sowie dies., Neubearbeitung der beiden Bände 2007² S. 197-198.  
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 47.   
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 298-299.  
bulletHorst Wilhelm: Roßdorf - Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung - Ein Gedenkbuch. Hg. vom Historischen Verein Rossdorf und Gunrdernhausen e.V. Roßdorf 1988. 
bulletArmin Hepp: Roßdorf vor der Rhön - Häuser und Geschlechter. Achern 1994.  
bulletThomas Lange: 'L'chajim' - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Hg. Landkreis Darmstadt-Dieburg. Reinheim 1997. S. 100-101 und S. 227.   
bulletJohann Heinrich Kumpf: Wohl die älteste Person des Deutschen Reichs stammte aus Momart. Zur Geschichte der jüdischen Familien Bergfeld in Momart und Michelstadt, May in Roßdorf sowie Aschenbrand in Niederaula, Rimbach und Frankfurt am Mein. In: "gelurt". Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte 2022. Hrsg. vom Kreisarchiv des Odenwaldkreises. Erbach/Odw. 2022. S. 99-116. Online zugänglich (pdf-Datei).  

Hinweis auf ein familiengeschichtliches Werk  

Nathan M. Reiss 

Some Jewish Families 
of Hesse and Galicia 
Second edition 2005 
http://mysite.verizon.net/vzeskyb6/  
Reiss Lit Titel 010.jpg (44676 Byte) Reiss Lit May Fam 010.jpg (67820 Byte)
In diesem Werk eine Darstellung zur Geschichte der jüdischen Familien May in Roßdorf, Gräfenhausen und Ober-Ramstadt ("The MAY Families of Roßdorf, Gräfenhausen and Ober-Ramstadt", S. 269-282) (Nachkommen bis ca. 2000) mit Abbildungen u.a.m.

 
    


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Rossdorf  Hesse.  The community numbered 62 (2 % of the total) in 1900 and 47 in 1933 but dispersed in 1938. Most Jews emigrated to the United States before Kristallnacht (9-10 November 1938).        
        
         

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020