Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Karlsruhe (Stadtkreis)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert 
  
Hier: Zur Geschichte der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft 

Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Karlsruhe wurden in jüdischen Periodika gefunden. 
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt. 
    
    
Links: Zu den Betsälen / der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft  
Zu den Rabbinern der Israelitischen Religionsgesellschaft  
Zu einzelnen Personen aus der Israelitischen Religionsgesellschaft   
    
    
Übersicht:  

Berichte zur Geschichte der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe   
-  Über die "religiösen Kämpfe in Karlsruhe" (1862)  
-  Eine orthodoxe Gemeinde kann gebildet werden (1869)  
-  Austritt einer Gruppe von orthodoxen Gemeindemitgliedern (1870)   
-  Gründung der Israelitischen Religionsgesellschaft (1870)  
-  Sijum-Feier des Talmud-Vereins innerhalb der Israelitischen Religionsgesellschaft (1887)  
-  Simchat-Tora-Fest in der Israelitischen Religionsgesellschaft (1890)  
-  Über die Israelitische Religionsgesellschaft nach 25 Jahren ihres Bestehens (1894)  
-  Zum Austritt von orthodoxen Mitgliedern der Israelitischen Gemeinde (1895) 
-  Zur Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe (Artikel von 1928)   
-  Veranstaltungen der Israelitischen Religionsgesellschaft (1934)  
Gemeindeabend der Israelitischen Religionsgesellschaft (1934)  
-  Vortragsabend der Israelitischen Religionsgesellschaft (1935)  
Über die "Gemeindeabende" der Israelitischen Religionsgesellschaft (1938)  

    
    
    
Berichte zur Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe     
Über die "religiösen Kämpfe in Karlsruhe" (1862)   

Karlsruhe Israelit 24121862.jpg (540234 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Dezember 1862: "Die religiösen Kämpfe in Karlsruhe (Baden). 
Mainz,
den 15. Dezember (1862). Wie fast in jeder Gemeinde Deutschlands beginnen auch in Karlsruhe, der Hauptstadt des Großherzogtums Baden, die religiösen Kämpfe aufzulodern, folgenschwer, da sie voraussichtlich mit einer Trennung der streitenden Parteien enden werden.   Durch die neuerdings in Baden eingeführte Emanzipation der Israeliten und die in deren Gefolge befindliche Freizügigkeit, findet der Zuzug zu den größeren Städten kein Hindernis mehr. Dadurch werden die bestehenden Synagogen zu eng für die an den hohen Festtagen herbeiströmenden Andächtigen, leider aber nur an den hohen Festtagen, dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfeste. Für die übrigen Tage des Jahres bleiben die Synagogen noch übergroß.   
Auch in Karlsruhe ist an den genannten Tagen die übrigens große, schöne und ehrwürdige Synagoge, die den Vergleich mit allen Prachtbauten der Neuzeit nicht zu scheuen hat, zu klein; von der Reformpartei wird nun ein Neubau erstrebt, der jedoch nur als Relief für beabsichtigte Einführung von Reformen im Gottesdienste dienen soll.   
Mit Recht widersetzen sich die Orthodoxen daher dem Neubau der Synagoge im Allgemeinen und der Reformiererei im Besonderen. Diese Kämpfe finden in der badischen Tagespresse ihren Ausdruck; so erschien in Nr. 276 der badischen Landeszeitung ein Artikel, welcher den Neubau der Synagoge entschieden fordert und dabei maßlose Reformen verlangt, so, um nur das Streben dieser Partei zu charakterisieren, 'die Beseitigung der Gebetriemen, Tefilin, aus dem öffentlichen Gottesdienst!'. Man sieht, die Reformierer in Karlsruhe haben von dem 'jüdischen Kirchenrate' in Stuttgart etwas gelernt. Und dabei geriert sich der Schreiber jenes Artikels noch als der Mittelpartei angehörig, und opponiert zugleich gegen die 'halsstarrigen Fortschrittsmänner', die sich selbst mit solchen Reformen nicht begnügen werden. Er appelliert ferner an den Patriotismus und verlangt sich Sichwürdigmachen der Emanzipation durch - Kultusreformen. Man sieht, die fanatischen Reformer sind ebenso unklug wie - verleumderisch.  
In Nr. 282 des genannten Blattes erschien eine Erwiderung von Seiten der Orthodoxen, die wir hier folgen lassen: 
'Karlsruhe, 1. Dezember. Die Nummer 276 dieses Blattes brachte einen Artikel über die Synagogenbaufrage, in welchem wir dieselbe unbegründete Ideenverbindung wieder erkannten, welche uns schon zuvor in der bekannten Ansprache 'des Synagogenrats der Residenzstadt Karlsruhe an die Mitglieder der israelitischen Gemeinde' in verletzender Weise entgegen getreten war. Wir sollen uns - so verlangt es die Ansprache und der Verfasser jenes Artikels - durch das Aufgeben gewisser religiöser Formen und die willige Annahme von neuen, die uns als allein selig machend angepriesen werden, der endlich nach Jahrhunderte langen Kämpfen errungenen politischen Gleichstellung würdig zu erweisen suchen. Noch immer also hat sich eine religiöse Partei zu dem Gedanken nicht erheben können, dass der Genuss staatsbürgerlicher Rechte vom religiösen Bekenntnisse und gottesdienstlichen Formen unabhängig sein müsse. Wir würden - so meint der Verfasser jenes Artikels und der Synagogenrat in seiner Ansprache - in den Augen unserer christlichen Mitbürger der uns zugestandenen Gleichberechtigung unwürdig erscheinen, wenn wir einem kostspieligen Synagogenbaue und einer in nebelhafter Unbestimmtheit sogenannten 'Veredlung des Gottesdienstes' unsere Zustimmung versagen wollten. Es ist nicht die innige und tatkräftige Teilnahme an dem Wohl und Wehe der staatlichen Gemeinschaft, welcher wir durch Gottes Fügung angehören, nicht die Bereitwilligkeit, für Fürst und Vaterland Leben und Eigentum aufzuopfern, auch nicht begeisterte Liebe, mit welcher wir den Kulturbestrebungen dieses menschenfreundlichen Jahrhunderts zugetan sind, wodurch wir den Anspruch auf ein vollberechtigtes, menschenwürdiges Dasein begründen dürften, wenn wir nicht gleichzeitig oder doch in unmittelbarer Folge den Reform- und Bauplänen unseres löblichen Synagogenrates unbedingt unsere Zustimmung erteilen und durch Bewilligung einer Kleinigkeit von 60.000 bis 80.000 Gulden deren Ausführung ermöglichen. Wir verdanken nach der Meinung jenes Artikels den endlichen Sieg der Gleichstellung nicht etwa dem Gerechtigkeitssinn unserer christlichen Mitmenschen und den Grundsätzen allgemeinster Menschenliebe und Duldsamkeit, welche der 'orthodoxe' Jude, als vom höchsten Gesetzgeber der Menschheit tradiert, anerkennt und welche vorurteilsfreie christliche Menschenfreunde in den Bekenntnisschriften des 'orthodoxen Juden' wiederfanden, sondern 'einzig und allein' der Wirksamkeit und dem Ansehen eines Bruchteils der jüdischen Religionsgenossenschaft, welcher so bescheiden ist, das Monopol der Bildung und Gesittung und des Anschlusses an die Wissenschaft dieses Jahrhunderts für sich allein in Anspruch zu nehmen. Wir glauben jedoch bei der tendenziösen Willkür, mit welcher in jenem Artikel die politische Stellung der badischen Staatsbürger jüdischen Bekenntnisses mit einer Kultusfrage in gewaltsame Verbindung     
Karlsruhe Israelit 24121862b.jpg (424426 Byte)gebracht wird, umso weniger verweilen zu müssen, als solche unselige Ideenverwirrung mit dem gebildeten Zeitbewusstsein, welches die Trennung der Kirche vom Staate und die Gleichberechtigung der Konfessionen gebieterisch fordert, auf die Dauer nicht wird bestehen können. Es handelt sich hier um eine Frage, die mit der Gleichstellung, die wir so glücklich sind, errungen zu haben, und deren die heimgegangenen Großväter ebenso würdig waren, wie die hochgebildeten Enkel - in keinem vernunftmäßigen und sachlichen Zusammenhange sieht. Der Synagogenrat fordert die Zustimmung zum Umbau des Gotteshauses, indem er zugleich mit Nachdruck auf die Notwendigkeit der Kultusreform hinweist. Die sogenannte orthodoxe Partei wünscht gleichfalls eine Verbesserung des öffentlichen Gottesdienstes, will jedoch gewisse religionsgesetzliche Schranken respektiert wissen, deren Überschreitung ihr die Benützung des mit schweren Opfern zu errichtenden neuen Tempels verleiden würde. Eine andere, in bürgerlicher Hinsicht gewiss nicht minder achtungswürdige Partei, welche wir die radikale nennen hören, fürchtet dagegen, dass die beabsichtigen Reformen weit hinter den Forderungen ihres Gewissens zurückbleiben möchten, und sie behauptet, dass es sich mit der Wahrhaftigkeit ihres Charakters und der Entschiedenheit ihrer Überzeugung nicht vereinigen lasse, an einem Gottesdienste Anteil zu nehmen, der nicht vollständig ihren religiösen Anschauungen entspräche. Eine Mittelpartei, und diese ist durch den Synagogenrat vertreten, verletzt natürlich nach beiden Seiten hin. Der Verfasser jenes Artikels, der offenbar der Mittelpartei angehört und beide ihm entgegenstehende Parteien bekämpft, erwähnt den sogenannten Gebetriemen in wegwerfender Weise. Wir glauben zu wissen, dass der bei weitem größere Teil der jüdischen Landesangehörigen diesem Religionsgebote den Charakter der Heiligkeit vindiziert, und eine Synagogenordnung, welche den Wegfall derselben bei öffentlichen Gottesdienst dekretierte, mit Entrüstung zurückweisen würde. Und doch gehört der Verfasser jenes Artikels, wie er glaubt, zu den Männern der goldenen Mitte, die allen Ernstes glauben, eine Ausgleichung so schroffer Gegensätze herbeiführen zu können. Bei einer so gründlichen Verschiedenheit der religiösen Denkungsart und Empfindungsweise und zumal, wenn die Einen der religiösen Parteien den Gegner der Verachtung aller Denkenden und Gebildeten Preis zu geben und ihn als freiheits- und fortschrittsfeindlich vor der öffentlichen Meinung zu brandmarken suchen - da kann der Tempel, selbst wenn der Bau desselben durch den Beschluss einer geringen Mehrheit zustande käme, nie und nimmer eine Stätte des Friedens und der Eintracht werden, weil ihm das sittliche Fundament, der religiöse Gemeinsinn, fehlt, der in dem Hause gemeinschaftlicher Gottesverehrung seine Befriedigung sucht und seine Erhaltung findet. Man wird sich bei so bewandten Umständen nicht darüber wundern können, wenn bereits bei der Abstimmung über den Umbau, obwohl die Kultusfrage gar nicht auf der Tagesordnung stand, von 114 Abstimmenden nur 61 für und 53 gegen den Bauplan stimmten. Nicht für das äußere Gebäude an und für sich kann die Opferbereitwilligkeit angerufen werden, sondern vielmehr und hauptsächlich für den darin abzuhaltenden Gottesdienst, der, den religiösen Anschauungen entsprechend, die andächtige Stimmung zu erwecken imstande ist. Wir glauben, dass es für den Synagogenrat eine moralische Unmöglichkeit sei, für den mit einer Mehrheit von nur 8 Stimmen, worunter 7 Synagogenräte sind, beschlossenen Bau die erforderliche Genehmigung der betreffenden Behörden nachzusuchen. Aber auch juridisch ist der gefasste Beschluss als ungültig zu betrachten, da nach dem Grundsatze der Gemeindeordnung nicht etwa die Mehrheit der Erschienenen, sondern die der Stimmfähigkeit zur Fassung eines gültigen Beschlusses erforderlich ist, und Seine Königliche Hoheit, unser vielgeliebter Landesfürst, schon vor der Gleichstellung anzuordnen geruht haben, dass bei den Synagogenratswahlen lediglich nach dem Grundsatze der Gemeindeordnung verfahren werden müsse. Zur Verfechtung der gegenseitigen Ansicht, dass für die Israeliten nicht die Gemeindeordnung, sondern die Vorschrift über geduldete Korporationen maßgebend sei, halten wir die jetzige Zeit, die uns eben die bürgerliche Gleichstellung gebracht, wahrlich sehr schlecht gewählt.   
Diese Entgegnung hat gezündet und nicht wenig zur Klärung der Situation beigetragen; der Ärger der 'geschlagenen' Gegner gibt sich nun in wiederholten Erwiderungen kund, die jedoch nicht nicht über vages Geschwätz und abgestandene Phrasen erheben.  
Die Gefahr ist groß; Mut und Ausdauer sind notwendig und voraussichtlich ist die Trennung unausbleiblich."     

 
Eine orthodoxe Gemeinde kann gebildet werden (1869)         

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Dezember 1869: "Karlsruhe, den 21. Dezember (1869). Auch hier, wie jetzt fast überall, wird sich eine orthodoxe Separatgemeinde bildet. Die Majorität der Gemeinde hat, trotzdem wir hier eine sehr schöne und geräumige Synagoge besitzen, welche nur an drei Tagen im Jahre nicht alle Besucher fasst, einen Synagogen-Neubau beschlossen, in welchen dann Orgelklang, Weibersang und die anderen Reform-Apparate eingeführt werden sollen. In Folge dessen sind die orthodoxen Israeliten aus der Gemeinde ausgeschieden und haben ihren fernern Beitrag zu den israelitischen Gemeindesteuern verweigert. Darauf ist die Gemeinde wegen Weiterleistung der Beiträge klagbar geworden und haben die Orthodoxen in erster Instanz den Prozess verloren. Nach vorangegangener Appellation jedoch hat heute die höchste Instanz entschieden, dass die orthodoxen Israeliten das Recht haben, aus der Gemeinde auszuscheiden und dass sie, wenn das geschehen, nicht angehalten werden können, irgendwelchen Beitrag zu den Kosten der israelitischen Gemeinde zu leisten. Diese Urteil ist natürlich von der größten Tragweite und wird als Präzedenzfall von den orthodoxen israelitischen Gemeinden, in Frankfurt, Mainz, Berlin, Breslau, Darmstadt, Offenbach, Wiesbaden etc. mit der größten Freude begrüßt werden.
Karlsruhe, 22. Dezember (1869). Der Verwaltungsgerichtshof hat gestern eine Frage von großer Tragweite entschieden. Auf Grund der Verfassung und des Gesetzes von 1860 wurde ausgesprochen, dass schon die bloße Erklärung des Austritts aus einer kirchlichen Genossenschaft (ohne Eintritt in eine andere) genügt, um sich von allen Rechten und Pflichten der Genossenschaft loszulosen und dass von Seiten des Staates keinerlei Zwang geübt werden kann zu Gunsten der kirchlichen Genossenschaft. Der spezielle Fall betraf Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinde Karlsruhe orthodoxer Richtung, welche ihren Austritt nicht allein aus der Gemeinde, sondern auch aus dem Religionsverband der Juden des Landes erklärt haben, um ganz frei nach ihren strengeren Anschauungen sich einzurichten. Hier zeigt sich also, dass das Gesetz von 1860, wie jedes Freiheitsgesetz, allen Richtungen zugute kommt. Der Grundsatz dieser absoluten Gewissensfreiheit ist jetzt zum erstenmal klar in das Leben eingeführt und wird eine große Umwälzung zunächst in den jüdischen Konfessionsgemeinden hervorrufen, in welchen eine bedeutende Steuerlast für den Kultus besteht. Eigentümlich ist in dem speziellen Fall, dass es die strenggläubige Partei ist, welche sogar aus dem Judenverband des Landes auszuscheiden erklärt. Natürlich wollen sie damit nicht aufhören, Juden zu sein, im Gegenteil. (Badische Landeszeitung)."             

 
Austritt einer Gruppe von orthodoxen Gemeindemitgliedern (1870)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Januar 1870: "Karlsruhe. Da mehrere Zeitungen so abweichende Berichte über die Motive einer vom Verwaltungsgerichtshofe des Großherzogtums Baden getroffenen Entscheidung, welche von der größten Tragweite ist, enthalten, so glauben wir, unseren Lesern eine desfallige Berichtigung in der 'Karlsruher Zeitung' im Interesse der Wahrheit nicht vorenthalten zu dürfen:
In einer im Dezember v. J. Wegen des Umbaues der Synagoge abgehaltenen israelitischen Gemeindeversammlung kam auch die Kultusfrage zur Sprache, und wurde hierbei ohne Hehl angesprochen, dass ein Reformgottesdienst mit Orgelbegleitung eingeführt werden solle. Ungeachtet der Bitte der Strenggläubigen, von diesem Vorhaben im Interesse des Friedens abzusehen, wurde von der Mehrheit rücksichtslos der Neubau einer Synagoge und und somit auch der Reformgottesdienst mit Orgel zum Beschluss erhoben.
In Folge dessen zeigte eine Anzahl hiesiger israelitischer Gemeindemitglieder dem Synagogenrat ihren Austritt aus der hiesigen israelitischen Gemeinde mit der Bemerkung an, dass sie für sich eine Religionsgenossenschaft nach strenggläubigen Grundsätzen gegründet haben und sich daher jeder Beitragspflicht für ledig betrachten, und ließen dem Synagogenrat diese Erklärung notariell eröffnen. Der Synagogenrat beanspruchte dessen ungeachtet von den ausgetretenen Gemeindemitgliedern die Gemeindeumlagen, und da solche von den Betreffenden verweigert wurden, erhob derselbe Klage beim Bezirksamt und wurde vom großherzoglichen Bezirksrat zu Gunsten des Synagogenrats entschieden. Gegen diesen Bescheid wurde Berufung an den großherzoglichen Verwaltungsgerichtshof eingelegt, von welchem unterm 13. Oktober d. J. folgender Erlass erging:
'Wormser und Genossen haben in ihrer Eingabe an den hiesigen Synagogenrat vom 11. Januar d. J. erklärt, dass sie aus der hiesigen israelitischen Gemeinde austreten, indem sie eine besondere Religionsgenossenschaft gegründet haben. Diese Erklärung aus dem örtlichen Gemeindeverband auszutreten, lässt es ungewiss, welche Stellung sie gegenüber der rechtlich als ein Ganzes konstituierten und organisierten Judenschaft des Großherzogtums einzunehmen gedenken, resp. ob sie auch aus diesem Gesamtverband ausscheiden und sich schlechthin als eine besondere Religionsgenossenschaft zu konstituieren Willens sind.'
Wormser und Genossen erklärten hierauf, dass der Austritt nicht nur aus dem örtlichen Gemeindeverband erfolgt sei, sondern dass sie auch aus dem Gesamtverbande der Konstituierten und organisierten Judenschaft des Großherzogtums ausscheiden, um eine streng orthodoxe Genossenschaft zu bilden. 
In der deshalb beim großherzoglichen Verwaltungsgerichtshofe am 21. Dezember statt gehabten öffentlichen Verhandlung, in welcher Herr Rechtsanwalt Kiefer von Offenburg die Ansprüche der Strenggläubigen vom Gesichtspunkt der Religionsfreiheit und des Liberalismus aus auf Grund des Gesetzes vom 6. Oktober 1860 auf der Meisterhafte verteidigte, entschied der hohe Gerichtshof zu Gunsten Wormser und Genossen, eine Entscheidung von der größten Tragweite im Sinne der Religionsfreiheit, und wie Fachmänner behaupten, eine der liberalsten, die ein Verwaltungsgericht jemals getroffenen hat."    

  
Gründung der Israelitischen Religionsgesellschaft (1870)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Januar 1870: "Der Sieg der Gewissensfreiheit in Baden
Karlsruhe.
Nach langem und heißem Kampfe – denn welche Kämpfe werden wohl, eben weil das Teuerste, unsere Gewissensruhe, unser Seelenheil, dabei auf dem Spiel steht, mit größerer Begeisterung geführt, als Religionskämpfe? - sind endlich die Würfel und zwar zum Wohle unserer heiligen Religion und ihrer treuen Anhänger auch hier gefallen.
Dieser Kampf datiert vom Jahre 1862, wo der damalige Synagogenrat, trotz des Widerspruches einer großen Anzahl Gemeindemitglieder einen Plan zum Aufbau einer neuen Synagoge anfertigen ließ und eine Gemeindeversammlung berief, welcher dieser Plan, mit anziehendem Farbenschmuck dekoriert – die Sinne sind in der Regel nach dem Ausspruche unserer Weisen der Sünde Mäkler – vorgelegt wurde. In dieser Versammlung gerieten die Parteien sehr heftig aneinander, indem nicht nur die Orthodoxen gegen das Bedürfnis einer neuen Synagoge ihre Ansichten geltend machten, sondern auch von entgegengesetzter Richtung es als eine Last für die Gemeinde betrachtet wurde, einen so kostspieligen Bau aufzuführen.
Die Orthodoxen mahnten schon damals zum Frieden und erklärten, dass, wenn der Plan, in welchem Orgel etc. vorgesehen war, genehmigt würde, sie aus der Gemeinde ausscheiden würden, weil sie es nicht den Vorschriften der Religion entsprechend fänden, eine Synagoge zu besuchen, in welcher sich eine Orgel etc. befinde. Mit einer Majorität von nur 11 Stimmen wurde jedoch damals der Plan genehmigt.*  
*) Anmerkung. Es kommt mir immer höchst sonderbar, ja lächerlich vor, wenn religiöse Fragen von einer Gesellschaft Laien beraten und darüber abgestimmt wird, ob ein von Gott geoffenbartes und für die Ewigkeit bindendes Gesetz noch jetzt Kraft habe, oder nicht. Wenn Religionsangelegenheit durch eine Laienmajorität bindende Kraft erhielten, dann wäre die Anfertigung des goldenen Kalbes und die Verschonung des kleinen Viehes nach dem Vernichtungskriege gegen Amalek nichts Sündhaftes gewesen.
Religionsfragen des jüdischen Glaubens dürfen und können nimmer nach einer Laienmajorität, sondern nur nach für die Religion der Väter warm schlagenden Herzen, verbunden mit von Kenntnis der heiligen Urquellen dieser göttlichen Religion ausgerüsteten Köpfen, entschieden werden.
(hebräisch) gilt hier als oberster Grundsatz und muss eine jede, von einem anderen Grundsatz ausgehende Abstimmung verworfen werden. Eine Religion wie die jüdische zählt nimmer nach Köpfen, wohl aber nach Herzen, nach für sie warm schlagenden Herzen. Und wäre, wie bei Abstimmung anderer Art, eine Majorität nach Köpfen heilsam und segenbringend, dann hätte das Reich Israel mit seinem damals zeitgemäßen Kälberdienst das Juda's überleben müssen. Und was wäre in jenen finsteren Jahrhunderten des Druckes und der Verfolgung aus dem Gesamtjudentum geworden, wenn die uns drückende Majorität den Sieg davon getragen hätte? Das Judentum wird nie vom sogenannten Zeitgeist erdrückt und vernichtet werden, denn (hebräisch) 'der Gott aller Geister' erhält es.  
Karlsruhe Israelit 26011870a.jpg (371940 Byte) Es ergaben sich aber bei der Stimmenzählung und Kontrolle einige Unregelmäßigkeiten, sodass die Minorität die Gültigkeit der Abstimmung anfocht.
Nach langem Prozesse gab endlich das Großherzogliche Ministerium des Innern am 19. Januar 1865 eine Entscheidung, welche beide Teile nicht befriedigte, die Minorität, weil ihr Antrag auf Verwerfung der Abstimmung nicht genehmigt, die Majorität, weil nur der Bau, nicht aber die Geldmittel von der Gemeindeversammlung in Erwägung gezogen worden waren und daher die Staatsgenehmigung nicht erteilt wurde.
Bei kurz hierauf erfolgter Synagogenratswahl wurde der alte Synagogenrat gestürzt und erhielt ein strenggläubiger die Majorität, wodurch die Sache ruhen blieb.
Im Anfange des Jahres 1868 vereinigte man sich auf Drängen der Mittelpartei zur Veränderung respektive Erweiterung der jetzigen, noch im guten Zustand sich befindenden Synagoge und wurde zu diesem Behufe ein neuer Plan angefertigt und am 19. April desselben Jahres der Gemeindeversammlung zur Genehmigung vorgelegt.
Wäre nun die Sache nach Recht und Ordnung behandelt worden, so hätte der mit der Einladung zur Generalversammlung vom Synagogenrat jedem Gemeindemitglied zugeschickte Grundriss über den Plan zum Synagogenumbau zur Abstimmung kommen müssen. Allein die Reformer, an der Spitze ein Advokat, der nicht einmal an den ehrfurchtgebietenden Tagen (= hohe Feiertage im Herbst) die Synagoge besucht, haben schon vorher durch Wühlereien und falsche Vorspiegelungen die Menge so irre geführt, dass dieser Veränderungsplan gar nicht zur Abstimmung kam, sondern der im Jahre 1862 vorgelegte Plan zum Neubau nebst den erforderlichen Geldmitteln zur Abstimmung gebracht und ihm mit großer Majorität die Genehmigung erteilt wurde.
Wiewohl die Orthodoxen in ausführlicher Weise auf das Ungeregelte dieser Abstimmung aufmerksam machten und es nicht unterließen, wiederholt darauf hinzuweisen, wie der Gemeindefriede respektive das Gemeindewohl durch diesen Beschluss auf das Unerhörteste gestört werde, wie durch die Synagogenerweiterung nach dem an die Gemeindemitglieder verteilten Umrisse dem Bedürfnis vollkommen genügt sei, dass sie aber nimmermehr eine Synagoge betreten können, in welcher sich ein Reform-Gottesdienst mit Orgel sich befände, weil sie sich im tiefsten Innern verletzt fühlten, sich zum Gott unserer Väter anders als in der Väter Weise zu wenden, während gegen Niemanden bei einem Gottesdienst ohne Orgel ein Gewissenszwang verübt werde, und ihnen daher nichts anderes übrig bliebe, als aus der Gemeinde zu treten; wie aber alsdann für alle Folgen diejenigen die Verantwortung träfe, welche zu diesem Beschlusse beitragen: da war die durch den Führer der Reform fanatisierte Menge für ihr ungerechtes Vorhaben so eingenommen, beinahe begeistert, wenn man diesen Ausdruck bei einem göttlichen Unternehmen gebrauchen dürfte, dass sie die Orthodoxen kaum zu Wort kommen ließen. Ja man scheute sich in dieser Gemeindeversammlung nicht, deutlich merken zu lassen, dass man mit dem Mannheimer Gottesdienst, der bekanntlich mit Orgel, Weibergesang und deutschen Liedern ausgestattet ist, nicht einmal zufrieden sei, sondern noch weiter gehen werde, und rief den Orthodoxen geradewegs zu: 'Trennet euch!'
Hierauf erklärte am 11. Januar 1869 eine Anzahl hiesiger Gemeindemitglieder beim Synagogenrat ihren Austritt aus der Gemeinde mit dem Bemerken, dass sie sich von nun an von jeder Beitragspflicht für enthoben betrachte, indem sie für sich eine streng-orthodox-jüdische Genossenschaft gebildet und dass sie für ihre Kultusbedürfnisse selbst Sorge tragen werden.
Die Austrittserklärung ließen sie dem Synagogenrat durch einen Notar eröffnen. Gleichzeitig machten sie dem Großherzoglichen Ministerium des Innern sowie dem Bezirksamt Anzeige von ihrem Austritt aus der hiesigen israelitischen Gemeinde.
Es dürfte für die Leser ihre geschätzten Blattes von Interesse sein, einige Stellen aus der Eingabe an das Letztere zu erfahren:
'Wie wohl demselben bekannt ist, wurde der Neubau der Synagoge dahier in der am 19. April v. J. abgehaltenen Gemeindeversammlung beschlossen. Es wurde hierbei unzweideutig ausgesprochen, dass in der neuen Synagoge auch ein veränderter Gottesdienst eingeführt werden müsse, und zwar zunächst der Mannheimer Gottesdienst mit Orgelbegleitung. Wir bedauern, ansprechen zu müssen, dass wir unter diesen Verhältnissen mit der hiesigen Gemeinde nicht mehr in Verband bleiben können. Nach der reiflichen und sorgfältigen Prüfung ist daher eine Anzahl hiesiger israelitischer Gemeindemitglieder zu dem Entschlusse gekommen, im Sinne des § 3 des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 eine eigene Religionsgenossenschaft zu bilden. Wir wiederholen, es ist uns dieser Entschluss      
Karlsruhe Israelit 26011870b.jpg (345702 Byte) nicht leicht geworden, aber es war der einige Weg, den unser Gewissen uns vorgeschrieben.
Wir sind bereit, durch eine Reihe europäischer Autoritäten den Nachweis zu liefern, dass wir ohne Verletzung unseres Gewissens bei dem Gottesdienste uns nicht beteiligen können, wie er für die hiesige Gemeinde quasi beschlossen ist. - Da wir nun für einen solchen Kultus nicht gestimmt, denselben auch nie annehmen werden, und daher für unseren eigenen Kultus zu sorgen haben, so versteht es sich von selbst, dass wir uns fernerhin auch nicht verpflichtet fühlen, und auch nicht verpflichtet sein können, zu den Ausgaben der hiesigen Gemeinde, insbesondere zu den Kosten des Neubaus der Synagoge und des Kultus beizutragen.'
Ungeachtet ihrer unzweideutigen Erklärung an den Synagogenrat, schickte derselbe, wie gewöhnlich, die Forderungszettel für die Gemeindeumlagen, deren Annahme jedoch von sämtlichen Mitgliedern der neu gebildeten Genossenschaft verweigert wurde.
Zu Leitung der Angelegenheit wurden fünf Bevollmächtigte ernennt und zwar die Herren: B. H. Wormser, J. H. Ettlinger, Nathanael Weil, Isaac Seeligmann und Abraham Straus. Daraufhin erhob der Synagogenrat gegen jeden einzelnen der ausgetretenen Mitglieder Klage beim Großherzoglichen Bezirksamt und war hierüber öffentliche Verhandlung beim Bezirksrat, der jedoch zu Ungunsten der Ausgetretenen entschied und hauptsächlich hervorhob, dass man sich erst Korporationsrechte erwerben müsse.
Gegen diesen abschlägigen Bescheid wurde eine Appellation an den Großherzoglichen Verwaltungs-Gerichtshof, die höchste Instanz bei derartigen Streitigkeiten, eingereicht. Von dieser Behörde kam unterm 13. Oktober vorigen Jahres folgender Zwischenbescheid, welche ihre Intentionen hierdurch deutlich zu erkennen gab. Derselbe lautet in der Hauptsache:
'Wormser und Genossen haben in ihrer Eingabe an den hiesigen Synagogerat vom 11. Jan. d. J. erklärt, dass sie aus der hiesigen israelitischen Gemeinde austreten, indem sie eine besondere Religionsgesellschaft gegründet haben. Diese Erklärung, aus dem örtlichen Gemeindeverband auszutreten, lässt es ungewiss, welche Stellung sie gegenüber der rechtlich als ein Ganzes konstituierten und organisierten Judenschaft des Großherzogtums einzunehmen gedenken, respektive ob sie auch aus diesem Gesamtverband ausscheiden und sie schlechthin als eine besondere Religionsgesellschaft zu konstituieren Willens sind.'
Eine solche Erklärung, aus dem Gesamtverband auszuscheiden, war keine Kleinigkeit, und wandte man sich deshalb an verschiedene anerkannte rabbinische Autoritäten, die vollständig darüber übereinstimmten, dass nachdem die Erklärung voranginge, eine streng-orthodoxe Genossenschaft nach den Satzungen des Schulchan Aruch zu bilden, diese Erklärung nicht nur vollkommen erlaubt, sondern unter den obwaltenden Verhältnissen sogar Pflicht sei, indem es sündhaft wäre, zu einem religionswidrigen Kultus beizutragen. Hierauf wurden sämtliche Mitglieder, obgleich die Vollmachtnehmer hierzu nicht verpflichtet gewesen, zu einer Beratung über diesen Gegenstand eingeladen, ihnen der Erlass großherzoglichen Verwaltungs-Gerichtshofes vorgelegt und über den Gang der Sache unterrichtet, worauf sämtliche Anwesende ihre vollständige Einwilligung gaben.
Mit voller Beruhigung wurde hierauf dem großherzoglichen Verwaltungsgerichtshof die Erklärung abgegeben, dass der Austritt nicht nur aus dem örtlichen, sondern aus dem Gesamtverbande geschehe, um eine besondere Religionsgesellschaft nach den streng-orthodoxen Grundsätzen unsere Kodex, des Schulchan Aruch, zu konstituieren. Gleichzeitig wurde auch diese Erklärung dem großherzoglichen Oberrat der Israeliten mitgeteilt. - Hierauf wurde vom großherzoglichen Verwaltungsgerichtshof auf den 21. Dezember vorigen Jahres öffentliche Verhandlung anberaumt, in welcher die Orthodoxen auf das Glänzendste als Sieger hervorgingen. Das dessfallsige Erkenntnis lautet wörtlich:
'In der Sache der israelitischen Gemeinde Karlsruhe gegen B. H. Wormser und Genossen daselbst, Umlagepflicht betreffend, wird hiermit, auf hierher ergriffenen Rekurs, nach ordnungsmäßiger in öffentlicher Sitzung gepflogener Verhandlung und darauf stattgehabter Beratung erkannt: Das Erkenntnis des Bezirksrat von Karlsruhe vom 30. Juli 1869 Nr. 17367 besagend: 'die Beklagten sind schuldig auch fernerhin die zur Bestreitung der israelitischen Gemeindebedürfnisse zu erhebenden Umlagen zu zahlen und haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Soweit die Klage die Zahlung der einzelnen Betreffnisse der beklagten Gemeindemitglieder betrifft, wird dieselbe zum besonderen Rechtsaustrag gegen jeden einzelnen Debenten verwiesen,' wird dahin abgeändert, dass die Klage der israelitischen Gemeinde dahier gegen B. H. Wormser und Genossen auf Zahlung von Beiträgen zu den Bedürfnissen derselben, unter Verfällung der Kläger in die Kosten des Verfahrens beider Instanzen, als unbegründet abgewiesen wird.
Gegeben Karlsruhe, den 21. Dezember 1869.
Schwarzmann. (L. S.) Schmidt. Kaiser. 
Karlsruhe Israelit 26011870c.jpg (79394 Byte) Diese Entscheidung, die dem Gesetze vom 9. Okt. 1860 ihren Ursprung verdankt, ist von der größten Tragweite und zeigt die Religionsfreiheit in ihrer ganzen Größe; denn es wäre doch wahrlich der größte Widerspruch in der Gesetzgebung, aus einem Vereine oder einer Genossenschaft austreten zu können und dennoch beitragspflichtig zu sein.
Mögen nun die strenggläubigen Juden, sowohl des Großherzogtums Baden als anderer Länder sich an dieser Sache ein Beispiel nehmen, wie fester Wille zum Ziel führt, namentlich, wenn das Unternehmen zur Ehre Gottes geschieht; denn seit nahezu acht Jahren dauert der Kampf der Orthodoxen mit den Reformern in Karlsruhe wegen des Synagogenbaus mit Orgel und Reformen; allein schon vor 30 Jahren wurde daselbst im Synagogenrat wegen Neuerungen in der Synagoge gekämpft und durch die Standhaftigkeit der Orthodoxen mit göttlicher Hilfe gesiegt. Darum seid stark und fest und nicht gezagt! Israel! Dass du die Feuerprobe ganzer Jahrhunderte bestanden; dir ist erst in dem jüngsten Wochenabschnitte erzählt worden, wie die Gläubigen auch unversehrt durch die Wogen des Zeitgeistes sich Bahn brechen."  

  
Sijum-Feier des Talmud-Vereins innerhalb des Israelitischen Religionsgesellschaft (1887)         

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Januar 1887: "Karlsruhe in Baden. Karlsruhe darf sich noch immer eine Stadt und Mutter in Israel nennen. Noch findet Tora, Awodah und Gemillus Chassodim (Tora, Gottesdienst und Wohltätigkeit) eine fruchtbare Stätte und liebevolle Pflege darin. Den Beweis dafür lieferte die Sijum-Feier am jüngsten Chanukka-Feste.
Die von Rabbiner Dr. Goitein - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - gegründete Schass Chewra (= Talmud-Verein) beendete unter unserm Herrn Rabbiner Dr. Schiffer - sein Licht leuchte - den Traktat Schabbat. Dieses freudige Ereignis wurde schon am Schabbat Chanukka durch Synagogenanschlag mit dem Hinzufügen bekannt gemacht, dass zu dieser am 26. Dezember abends 8 ½ Uhr beginnenden Feier alle Mit- und Nichtmitglieder der Schass Chewra in der Lokalität des Bankier Herrn G. Strauß - sein Licht leuchte - höflichst eingeladen werden. Wenn auch der Einladung nicht in vollem Maße entsprochen wurde, waren die Anwesenden geistig umso froher gestimmt. Nachdem der Traktat Schabbat beendet, der Traktat Pessachim begonnen und Herr Dr. Schiffer - sein Licht leuchte - einige recht sinnige Bemerkungen über den Anfang und das Ende des Traktates Schabbat angeknüpft und zu fernerem fleißigen Besuch der Chewra aufgefordert, ergriff Herr Rabbiner N. Weill - sein Licht leuchte - das Wort, dankte in recht herzlichen Worten dem Herrn Dr. Schiffer für das große Verdienst, das er sich um die Hebung der Schass Chewra und durch Verbreitung von Thorakenntnis im Allgemeinen erwirbt. Schließlich forderte er zu einem Hoch auf, das man freudig dem Herrn Dr. Schiffer - sein Licht leuchte - brachte. - Auch dem freundlichen Gastgeber Herrn Bankier S. Straus - sein Licht leuchte -, der seine Lokalitäten jahrein jahraus in freigebigster Weise dem Thorastudium fast allen hier bestehenden Chewrot (Vereinen) öffnet und sich selbst warm und innig diesem Studium hingibt, wurde ein Hoch gebracht. Alsdann ergriff Herr Goldberg - sein Licht leuchte -, stud. Med. in Heidelberg, der eigens zu dieser Feierlichkeit eingeladen war, auf allgemeinen Wunsch das Wort und entwickelte in einem fast 2-stündigen ununterbrochenen Vortrag einen Scharfsinn und eine Belesenheit auf dem ganzen talmudischen Gebiete, wie man es höchst selten, selbst bei im Talmudstudium Ergrauten, wahrzunehmen Gelegenheit hat. Mancher der Hörer wird wohl dadurch zu dem festen Vorsatz gekommen sein, es durch Fleiß und Glaubenswärme auch annähernd so weit zu bringen. 
Mögen andere Gemeinden, die vielleicht mit bedeutend weniger Hindernissen zu kämpfen haben, als die hiesige Religionsgesellschaft, durch dieses Sijum-Beispiel aufgerüttelt und ermuntert werden zum Gründen und fleißigen Besuchen von Chewrot!"   

  
Simchat Tora-Fest in der Israelitischen Religionsgesellschaft (1890)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Oktober 1890: "Karlsruhe in Baden, 12. Okt. Seit dem Bestand der hiesigen Adat Jeschurun-Gemeinde war es dieses Mal der erste Simchat-Tora-Feiertag, an welchem der uralte Brauch, von allen Knaben unter 13 Jahren mit Fähnlein den Umzug der Torarollen eröffnen zu lassen, wieder Fuß fasste. Und es waren Gott sei gepriesen recht viele, die volle Freude die Fähnlein hoch hielten und und triumphierend, aber doch in andächtiger Stimmung vor den (hebräisch) hergingen, als ob sie wüssten, dass es Kinder waren, die (hebräisch), bevor er sich entschloss, Israel sein Gesetz anzuvertrauen, als Bürgern angenommen, nach dem Psalmwort (hebräisch) und ihnen darum der Platz vor den (hebräisch) angewiesen worden wäre. Bei näherer Betrachtung gewährte man sogar Knaben von Mitgliedern der Hauptgemeinde, in deren Synagoge dieser Brauch nicht üblich ist, die aber dennoch ihren Kindern diese Freude bereiten wollten.
So ist es recht, ihr lieben Kleinen, dachte ich bei mir, während des imposanten Umganges: Die Gesetzesfahne recht hoch getragen, damit sie über alle kleinlichen Verhältnisse des Erdenlebens hervorrage, ihr nie des Himmels vergesset und stets die Worte eingedenk seiet (hebräisch und deutsch) 'Der Ewige ist mein Panier und eine Zufluchtsstätte in mir!' Mit diesen 4 bedeutungsvollen Worten wird man ganz gewiss nächstes Jahr diese Simchat-Tora-Fähnlein versehen, damit sie sich wesentlich von den gewöhnlichen Fahnen bei Kinderfesten unterscheiden und diese Kinder einst als Väter und Großväter die Nachkommen dieselben Fähnlein vor den Gesetzrollen hertragen sehen mit derselben Begeisterung, mit derselben reinen, frommen Herzensfreude.
Noch regeres Leben herrschte als die Jugendlichen zur Thora gerufen wurden. Schon eine geraume Zeit vorher sah man sie talisgeschmückt (= mit dem Gebetsschal versehen) neben ihren Eltern oder Verwandten stehen und mit Ungeduld des Aufrufes harren. Ihre Blicke schienen sagen zu wollen: heute dürfen auch wir Zur Tora-Hinaufgehende sein und denselben Segen über das Gottesgesetz sprechen, dessen sich die Erwachsenen dabei bedienen. Und wie laut und schön sprachen sie einstimmig die vom Vorbeter vornehmlich und gefühlvoll gesprochenen Worte nach! Und mit welcher Freude wusste jeder Knabe nach dem Schlusssegensspruch seinen Heiligen Namen behufs Mi Scheberach anzugeben! O möget ihr nie eures Heiligen Namens vergessen, stets im Leben besorgt sein, um euren guten Namen, damit er stets ein (hebräisch) bleibe. Möget ihr aber auch in Zukunft euch so freudig um die Tora scharen, wie ihr es heute getan habt, dann wird nie die Zeit kommen, wo ihr fahnenflüchtig werdet; nie werdet ihr euch dann eures jüdischen Namens schämen, nie unsrer Nation Schande, vielmehr nur ehre bereiten. Ihr werdet dann stets an die irdische strafe denken, die den trifft, der im Heere fahnenflüchtig wird, wenn er nur, wie man zu sagen pflegt, des Kaisers Rock trägt. Ihr werdet euch dann stets die Frage vorlegen: nennt sich nicht der himmlische Vater selbst (hebräisch und deutsch) 'Gott der Heere?' Und sind wir nicht sein Heer? Heißt es nicht 2. B. M 12, 41 (hebräisch und deutsch) 'An eben diesem Tage zogen alle Heere Gottes aus dem Lande Mizrajim.' Tragen wir nicht das unauslöschliche Bundeszeichen des (hebräisch und deutsch) 'über alle Fürsten Erhabenen' an uns: den (hebräisch)? Wird schon hienieden der sogenannte Landesverrat ganz exemplarisch bestraft, härter als manches schweres Verbrechen, wie empfindlich wird erst der über das ganze Universum Herrschende den Himmelsverrat ahnden und heimsuchen. M...ch."   

  
Über die Israelitische Religionsgesellschaft nach 25 Jahren ihres Bestehens (1894)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Dezember 1894: "Karlsruhe in Baden, 23. Dezember (1894). Am gestrigen Tage waren 25 Jahre seit jener Verhandlung vor dem Großherzoglichen Verwaltungsgerichtshof verflossen, durch die der Bestand der hiesigen Religionsgesellschaft gewährleistet und ihre nunmehrige Blütezeit vorbereitet wurde. Durch sein Urteil hatte damals der höchste Gerichtshof in Verwaltungssachen das Prinzip der unbedingten Gewissensfreiheit des Einzelnen in der Praxis eingeführt und den Satz ausgesprochen, dass es ein Verstoß gegen dieses Grundgesetz sei, wenn jemand zu den Kosten eines Kultus, den sein Gewissen perhorresziert, beizutragen gezwungen wurde. Demgemäss wurde denn auch die Klage des Karlsruhe Synagogenrats gegen die ausgetretenen, früheren Gemeindemitglieder B. H. Wormser und Genossen wegen der von ihnen verweigerten Zahlung von Gemeindeumlagen zum Bau der Orgelsynagoge kostenpflichtig abgewiesen, damit war erst die Basis für die Gründung einer selbstständigen Religionsgesellschaft gegeben und so datiert denn auch dieselbe ihr Bestehen mit gutem Recht von diesem Tage. 
Von einer größeren Feier war abgesehen worden. Dagegen fand in der bis auf den letzten Platz gefüllten Synagoge ein Festgottesdienst statt dessen Mittelpunkt die Festrede unseres Rabbiners Herrn Dr. Schiffer abgab. Ausgehend von den herannahenden Chanukka-Tagen, zeigte Redner in historischem Rückblicke, wie von immer und öfter im Judentum Strebungen sich geltend gemacht, die auf eine Zerstörung der nationalen religiösen Eigenart bewusst oder unbewusst hinausliefen, wie diese Bestrebungen oft scheinbar am Ziele ihrer Hoffnung angelangt waren, als ihnen durch das Eingreifen einer höheren Macht, die die rechten Männer zur rechten Zeit erstehen ließ, ein Riegel vorgeschoben und der alte, treue Väterglaube noch einmal gerettet wurde. Auch vor drei Dezennien habe ein blindwütender Glaubenshass, der sich den schönen Namen 'Reform' beilegte, den Lebensbaum Israel zu fällen unternommen; das Gotteshaus ward zur Stätte musikalischer Unterhaltung, das jüdische Gebet verstümmelt oder verbrannt und das jüdische Gesetz verhöhnt und mit Füßen getreten. Doch wiederum fanden sich Männer, die wie Felsen im Wasserstrome den überschießenden Zerstörungsgelüsten hat zu bieten suchten, und die, als sie die feindliche Übermacht erkannten, in der Absonderung den einzigen Rettungsweg erkannten. Auch nach unserer Stadt kam eine Springwelle jener Fluten; alle Bande religiöser Scheu lösten sich, 'trennet euch', rief man höhnisch den über Gewissenszwang Klagenden zu, um sie später zu verunglimpfen, als sie jenes Losungswort zu dem ihren machten. Nicht Unglimpf gebührt jenen Männern, sondern Anerkennung und Ehre, ein treues Gedenken und Fortwandeln in ihren Wegen. Mit einem Gebete für das Wohl der Gemeinde und ihrer Leiter, wie für den Landesherrn als den Hort der Gewissensfreiheit und der Behörden, die in seinem Sinne ihres Amtes walten, schloss die eindrucksvolle Rede, die ihren Nachhalt in den Herzen der Hörer fand und für lange Zeit darin wecken  möge. - Bemerkt zu werden verdient noch, dass wie der Vorstand bekannt gibt, die Zahl der Mitglieder unserer Religionsgesellschaft, die mit 24 Genossen begann, inzwischen trotz Ausscheidens zahlreicher Mitglieder durch Tod und Wegzug auf mehr als 100 gestiegen ist."    

   
Zum Austritt von orthodoxen Mitgliedern der israelitischen Gemeinde (1895)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. April 1895: "Karlsruhe, 26. März. Man übersendet uns nachfolgende Berichtigung: Im Auftrage des Großherzoglichen Oberrats der Israeliten lassen wir ihnen nachstehende Berichtigung zum Abdruck in der nächsten Nummer Ihres Blattes nach Maßgabe des § 11 des Pressgesetzes zugehen:
1) Als im Jahre 169 eine Anzahl orthodoxer Mitglieder der israelitischen Gemeinde Karlsruhe wegen der daselbst geplanten gottesdienstlichen Reformen ihren Austritt aus dem Verbande der badischen Israeliten erklärt hatte, verfasste Oberrat Altmann eine Ansprache, inhaltlich deren von einer solchen Absonderung öffentlich abgemahnt und an die Rabbiner, Bezirksältesten, Gemeindevorsteher, Lehrern sowie überhaupt an alle Gutgesinnten die Aufforderung gerichtet wurde, für möglichste Verbreitung dieser Abmahnung zu sorgen.
2) Der bezügliche Erlass des Großherzoglichen Oberrats erhielt schließlich diejenige Fassung, in welcher er unter dem Datum vom 24. Februar 1870 namens des Plenum der Behörde veröffentlicht worden ist. Mit dieser Fassung hat sich Oberrat Altmann noch besonders einverstanden erklärt.
3) Oberrat Altmann hat das Rundschreiben vom 4. März 1870 verfasst und unterzeichnet, mit welchem die fragliche Ansprache den Bezirkssynagogen und Synagogenräten behufs möglicher Verbreitung unter den Israeliten Badens mitgeteilt und den Rabbinern gegenüber noch besonders die Erwartung angesprochen worden ist, dass sie bei sich bietender Gelegenheit die Ansprache zum Gegenstand öffentlicher Belehrung und Beleuchtung machen werden.
4) Die Angabe in der der Synode zugegangenen Denkschrift, dass Oberrat Altmann pflichtgemäß von einer Absonderung, wie sie in der israelitischen Gemeine Karlsruhe vorgekommen ist, öffentlich abgemahnt hat, ist daher richtig, wenngleich die Druckexemplare der fraglichen Ansprache nur die Unterschrift des Vorsitzenden des Großherzoglichen Oberrats trugen.
5) Davon, dass Oberrat Altmann in seiner Demission gedroht habe, falls ihm die Unterzeichnung der Ansprache zugemutet würde, ist dem Großherzoglichen Oberrat nichts bekannt, wie denn auch ersterer während seiner weiteren vierjährigen Wirksamkeit im Großherzoglichen Oberrate gegen dessen Stellungnahme in fraglicher Angelegenheit in keiner Weise aufgetreten ist.
Sekretariat Großherzoglichen Oberrats der Israeliten. Einstein."  

   
Zur Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe (Artikel von 1928)   

Karlsruhe Israelit 24051928.jpg (311111 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Mai 1928: "Zur Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe. Die Reformen, die die Mannheimer Gemeinde eingeführt hatte, fanden auch bald in Karlsruhe Nachahmung. Schon um das Jahr 1860 wurden in der Karlsruher Gemeinde Pläne zur Einführung von Reformen ernsthaft erwogen. Die Männer an der Spitze der Gemeinde stellten sich auf den Standpunkt, dass sie die Majorität auf ihrer Seite hätten und verpflichtet wären, die die zeitgemäße Fortentwicklung der Gemeindeinstitutionen Sorge zu tragen. 18 Männer, erfüllt von der Treue zum altüberlieferten Judentum und entschlossen, für dieses bis zum Äußersten einzutreten, traten diesen Plänen mit aller Energie entgegen und weigerten sich, als sie sagen, dass sie überstimmt wurden, ihre Steuern zu zahlen. Auf dem Klagewege ging die Gemeinde gegen diese vor, und ein erbitterter Kampf, der nicht frei blieb von persönlicher Feindschaft, zwang diese 18 Getreuen, vor den Gerichten die Überzeugung zu verteidigen. Doch diese konnten das Verständnis hierfür im Rahmen der juristischen Bestimmungen nicht finden, mund in allen Instanzen wurden diese 18 Getreuen zur Zahlung ihrer Gemeindesteuern verurteilt. Ein Antrag auf Austritt aus der Gemeinde wurde als unzulässig abgewiesen, sodass dann auch am Verwaltungshof ihre Herzenssache keinen Vertreter fand. Nur die oberste Instanz, der Verwaltungsgerichtshof, hatte noch nicht gesprochen. Von ihm kam den wackeren Kämpfern unerwartete Hilfe. Der Präsident desselben, Geheimer Rat Schmitt, ließ durchblicken, dass sie zwar aus der Gemeinde nicht austreten dürften, wohl aber aus der organisierten badischen Judenheit, und gab ihnen dadurch die Möglichkeit, ihre heiligste Überzeugung zu wahren. Trotz der großen Feindschaft, die seitens der Gemeinde gegen diese 18 Männer nun zutage trat, die ihnen ihre Synagogenplätze nicht ließ, trotzdem sie ihr Eigentum geworden, und ihnen selbst das Betreten des Friedhofes, auf dem die Gräber ihrer Teuren lagen, erschwerte, gingen diese 18 Tapferen unentwegt den Weg, den ihnen das Gottesgesetz vorgezeichnet hatte. Waren sie schon in dem Kampf für ihre Überzeugung durch mehrere Gutachten, darunter das geistvolle und erschöpfende von Rabbiner Samson Raphael Hirsch (abgedruckt in den Gesammelten Schriften, Bd. 5 Seite 532) unterstützt worden, so gingen sie nun mit voller Tatkraft, die großen finanziellen Opfer nicht scheuend, daran, sich ihre eigenen Institutionen zu schaffen. Der Betsaal in der Ritterstraße, der ihnen zuerst die Möglichkeit bot, nach der Väterweise zu ihrem Gotte zu stehen, wurde bald zu klein und das Gotteshaus, das sie nach der Überwindung ungeahnter Schwierigkeiten in der Karl Friedrich-Straße erbauten, war die lang ersehnte Krönung ihrer Hoffnungen und Wünsche. Da das Staatsgesetz, das damals die Trennung von Staat und Kirche nicht kannte, es ihnen nicht möglich machte, eine Religionsgesellschaft zu gründen, da es vor dem Staat nur eine jüdische Landessynagoge gab, so kamen sie auf den Ausweg, sich durch einen Gesellschafts-Vertrag als Aktiengesellschaft und auf Grund des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch zu konstituieren. Der Gegenstand des seit dem 11. Januar 1869 bestehenden Unternehmens war nach diesem Gesellschaftsvertrag die Erstellung und Unterhaltung derjenigen Institutionen, welche erforderlich sind, um das jüdische Religionsgesetz so auszuüben, wie dasselbe in Tora und Talmud enthalten und im Schulchan-Aruch kodifiziert wurde. Aktionäre und Aufsichtsrat, Bilanzen und Dividenden, Geschäfts-Reglement und Budget waren die materiellen Formen, in die das rein geistige Streben sittlicher und religiöser Glaubenstreue gekleidet werden musste. Doch umso erfolgreicher waren die Fortschritte, die die Religionsgesellschaft, aus kleinen Anfängen heraus entwickelt, geführt von hingebungsvollen Führern und rastlos wirkenden und sich aufopfernden Vorstehern erzielte. Bald folgte der Ankauf eines Friedhofes, die Gründung einer Religionsschule und die Schaffung aller zu einer Religionsgesellschaft gehörenden Institutionen, und als nach der neuen Verfassung die Trennung von Staat und Kirche es gestattete, den Rahmen einer Aktionsgesellschaft aufzugeben und sich als Religionsgesellschaft mit Körperschaftsrechten zu erklären, legte die Religionsgesellschaft diese ihn aufgezwungene Form ab, um nach außen hin in der Form zu erscheinen, die ihrem Wesen und Inhalt von Anbeginn an entsprach, dessen Streben es ist, die Tora groß und prächtig erscheinen zu lassen." 

   
Veranstaltungen der Israelitischen Religionsgesellschaft (1934)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. November 1934: "Karlsruhe, 5. Nov. Die Israelitische Religionsgesellschaft Karlsruhe hat in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder diesen davon Kenntnis gegeben, dass eine Jugendstunde am Schabbat Vormittag die Jugend in den Geist des jüdischen Gesetzes und des jüdischen Lebens einzuführen bestimmt ist. Neben den ständigen Schiurim zu Schulchan Aruch, Gemara, Mischnaot und Menoras Hameor wurden Lehrvorträge über Rambam, Psalmen... und Stephan Zweig: Jeremia angezeigt. Gleichzeitig wurde zu einem Gemeindeabend eingeladen, der Gelegenheit zur Aussprache und zwanglosem Beisammensein geben sollte. An diesem hielt Herr Rabbiner Dr. Merzbach, Darmstadt einen von Geist und Begeisterung erfüllten Vortrag über das Thema 'Vom Sinn des Schicksals', in dem er dieses als erziehungs- und Prüfungsleiden unter Anführung zahlreicher Midraschdeutungen historisch begründete. Ein Oberprimaner, Fr. Kottlar, machte geschichtliche Ausführungen zu einer hierbei gestreiften Zeitperiode. Der Beifall des überfüllten großen Saales zeigte, dass die Israelitische Religionsgesellschaft wirkungsvoll um die Erwachsenenbildung sich bemüht."   

   
Gemeindeabend der Israelitischen Religionsgesellschaft (1934)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Dezember 1934: "Karlsruhe, 23. Dez. Die Israelitische Religionsgesellschaft hat in Fortsetzung ihres Bemühens um Erwachsenenbildung zu einem zweiten Gemeindeabend ihre Mitglieder eingeladen. Im überfüllten Saale sprach Herr Rabbiner Dr. Bamberger, Mainz über 'Scheinbare und wirkliche Überwindung der Assimilation'. In klarer und überzeugender Beweisführung legte er im Hinblick auf das Makkabäerwunder dar, dass der Schlachtensieg nur die scheinbare Überwindung der hellenischen Assimilation bewirkte, das Ölwunder aber erst Zeichen der wirklichen geistigen Überwindung der Assimilation war, die auch in der Gegenwart zu erstreben sein. Reicher Beifall dankte dem Referenten für die lehrreichen Ausführungen. Hebräische Lieder, vorgetragen von Herrn Jakubowitz und der Chanukka-Psalm, hebräisch gesungen von den Knaben Gewürz, Weiß und den Brüdern Fränkel, schlossen sich an das Referat an. Ganz besonderes Interesse weckte eine dramatische Darstellung der ersten beiden Kapitel aus dem Buche Hiob durch die Damen Freund, Gelmann, Huttner und Rabbinowitz in klassischem Hebräisch. Der Abend war ein wertvoller Beitrag zur Erwachsenenbildung."     

   
Vortragsabend der Israelitischen Religionsgesellschaft (1935)         

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Februar 1935: "Karlsruhe, 28. Jan. Die Israelitische Religionsgesellschaft bot auf ihrem dritten Gemeindeabend einen wertvollen Vortrag im Dienste der Erwachsenenbildung. Dr. iur. Siegwart Wertheimer, Karlsruhe hielt ein tiefschürfendes, formvollendetes Referat über: Rabbiner S. R. Hirsch - das Andenken an den Gerechten und Heiligen ist zum Segen -. Er schilderte in anschaulicher Weise die segensreiche Wirksamkeit dieses Großen, seine Kämpfe für seine Weltanschauung und sein Bildungsideal, und seine Stellungnahme zu den Problemen: Nationaljudentum und Emanzipation. Anschließend gab Herr Dr. med. Willi Weil, Karlsruhe sehr lehrreiche Aufschlüsse über Wirtschaftsfragen der Gegenwart. Sein glänzendes Referat, das auch die Berufswahl und die Jugendbewegung behandelte, kam einem dringenden Bedürfnis entgegen. Die Versammlung zollte beiden Rednern dankbarste Anerkennung."   

  
Über die "Gemeindeabende" der Israelitischen Religionsgesellschaft (1938)        

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. März 1938: "Karlsruhe, 1. März. In den letzten Jahren hat die Israelitische Religionsgesellschaft in Karlsruhe mit gutem Erfolg begonnen, für ihre Mitglieder Gemeindeabende zu veranstalten, die sich dank der Bemühungen des stellvertretenden Vorsitzenden unserer Gemeinde, Herrn Jacob Ettlinger, stets wachsender Beliebtheit erfreuen, ein Zeichen dafür, dass solche Abende den Gemeindemitgliedern ein Bedürfnis geworden sind. So sind aus Elternabenden oder Schulfeierstunden zeitentsprechende Unterhaltungsabende für die Mitglieder der Gemeinde geworden.
Am jüngsten Gemeindeabend, den Herr Dr. Willi Weil leitete, sprach Herr Rabbiner Dr. Michalski über die 'Geschichte der Juden in Karlsruhe', ein Thema, das großes Interesse fand, um so mehr, weil bisher gerade dieses Gebiet etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Es ist deshalb dem Referenten besonders zu danken, der kein geborener Karlsruher ist, dass er sich der Mühe unterzogen hat, das reichlich vorhandene Material zu sichten und das Wichtigste in einem Vortrag zusammenzufassen. Wenige Jahre nach Gründung der Stadt Karlsruhe waren Juden hierher gezogen, die ersten aus Durlach, Ettlingen und Pforzheim. So entwickelte sich schrittweise die ansehnliche Gemeinde. Im Jahre 1869 gab es dann die Trennung zwischen Gemeinde und der losgelösten Israelitischen Religionsgesellschaft, die dann nebeneinander seit bald sieben Jahrzehnten bestehen. Reicher Beifall dankte dem Vortragenden für seine interessanten Ausführungen und es wurde angeregt, auch einmal die Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in einem Vortrag zusammenzufassen. -
Nach einer kurzen Pause, in der für die Winter-Nothilfe gesammelt wurde, brachte Herr Osias Engelmeier aus Frankfurt hebräische und jiddische Lieder zum Vortrag und erfreute mit seinem gutgeschulten und wohlklingenden Organ, insbesondere bei der Wiedergabe von religiösen Gesängen in der Tongabe Rosenblatts. - Für anfangs April steht uns zu unserer Freude wieder ein Vortrag von Herrn Red. Schachnowitz in Aussicht."   

     

    

    

    

    

 

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Stand: 13. Januar 2014