DAS LANDRABBINAT WALLERSTEIN

 

Bedeutende rabbinische Persönlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts

 

 

von Rolf Hofmann

 

 

 

 

Das Ende des 2. Weltkriegs markiert tragischerweise auch das Ende des jüdischen Friedhofs von Wallerstein, der einstmals (bereits lange vor dem 30jährigen Krieg) Zentralfriedhof für die jüdischen Gemeinden der Grafschaft Oettingen gewesen war. Von der Fülle der im frühen 20. Jahrhundert noch vorhandenen tausend Grabsteine zeugt heute nicht mehr allzu viel, nachdem dann gegen Ende des 2. Weltkriegs dieser Friedhof weitgehend leergeräumt wurde. Dem Vandalismus fielen fast 700 Grabsteine zum Opfer.

 

Man hatte damals angenommen, dass es dieser Grabsteine wohl nicht mehr bedürfe, nachdem vor Ort ohnehin keine Juden mehr lebten. Inmitten dieses nun doch recht verlassen anmutenden Gräberfeldes hat sich eine kleine Gruppe mächtiger Grabmäler erhalten, im Volksmund erstaunlicherweise immer noch als "Rabbinergräber" in Erinnerung. Zwei davon gehören zu den Rabbinern David Weißkopf (1798-1882) und Marx Michael Kohn (1826-1888), den beiden letzten religiösen Oberhäuptern des Wallersteiner Landrabbinats.

 

Kaum jemand weiß heute noch etwas von diesen ehemals hochgeachteten Persönlichkeiten. Auch über die einstige Bedeutung des Wallersteiner Landrabbinats und seiner Rabbiner breitet sich schon lange der Mantel des Vergessens. Recherchen erweisen sich als extrem mühsam, nachdem allzu viele Archivalien im 3. Reich verloren gegangen sind oder ins Ausland geschafft wurden. Dies betrifft insbesondere auch die Archive der ehemaligen jüdischen Landgemeinden.

 

Allerdings bietet die vorzügliche Ausarbeitung von Professor Dr Ludwig Müller zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries einen sehr wertvollen Einblick in diesen Bereich der Regionalgeschichte, der heute schwerlich noch in dieser umfassenden Form erarbeitet werden könnte. Erschienen ist diese Arbeit unter dem Titel "Aus fünf Jahrhunderten" 1898 und 1899 in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg. (01) Eine weitere wertvolle Hilfe bei der Ausarbeitung rabbinischer Lebenswelten ist das bemerkenswert gut detaillierte "Biographische Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach, dessen Betrachtungen jedoch im Wesentlichen erst mit dem späten 18. Jahrhundert beginnen. (02)

 

Auch der in den Jahren um 1990 in Oettingen lebende Mario Jacoby hat sich im Rahmen eines Vortrags während der Rieser Kulturtage 1994 (siehe Dokumentation Band X 1994, Seite 167-192 "Jüdisches Leben und Wirken im Ries") unter anderem in vorzüglicher Weise mit biographischen Aspekten bedeutender Rabbiner befasst, dies mit Schwerpunkt auf dem Landrabbinat Oettingen. (03)

 

Weiter ist für die Betrachtung des Rabbinats Wallerstein der Bestand an rabbinischen Archivalien im Oettingen-Wallerstein'schen Archiv auf Schloss Harburg von Bedeutung, dies zum Beispiel unter den Signaturen FÖWAH II.6.3  und FÖWAH III.18.9c-1. Hier findet sich in mancher Hinsicht aufschlussreicher Schriftverkehr zu konkreten Vorgängen (zB bei Neubesetzungen von Rabbinerstellen bzw Beschwerden). Ein wichtiges Findbuch zu den Archivalien auf Schloss Harburg ist die von Doris Pfister ausgearbeitete "Dokumentation zur Geschichte der Juden in Schwaben" (gemeint ist hier Bayerisch-Schwaben), herausgegeben 1993 von Peter Fassl (Bezirk Schwaben) im Eigenverlag des Bezirks Schwaben, inzwischen auch im Internet einsehbar.

 

Ausserdem noch erwähnenswert ist die kenntnisreiche Ausarbeitung der Geschichte der Wallersteiner Juden durch Michael Schneeberger, veröffentlicht in "Jüdisches Leben in Bayern" (Nr 97 vom April 2005), dem Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israeltischen Kultusgemeinden in Bayern. Auf den Seiten 32-34 finden sich Kurzbiographien der Wallersteiner Rabbiner ab dem 16. Jahrhundert.

 

Das nachstehende Referat bemüht sich nun unter Bezug auf die vorgenannten Publikationen um wesentliche Vertiefung bereits bekannter biographischer Aspekte und Ergänzung durch bisher wenig bekannte Fakten. All diesen rabbinischen Persönlichkeiten gemeinsam ist die Tatsache, dass sie eine große Hochachtung genossen und hervorragende Bewahrer religiöser Traditionen für die jüdischen Gemeinden im Herrschaftsbereich der Grafen und Fürsten in der Grafschaft Oettingen waren. Ihre Bedeutung über die Region hinaus erweist sich aus der Tatsache, dass die Nähe zu diesen Meistern auch immer von Schülern gesucht wurde, die von talmudischer Kenntnis und Weisheit profitieren wollten.

Entsprechend der Aufteilung der Grafschaft Oettingen in vier Teilgrafschaften in der frühen Neuzeit (Oettingen- Oettingen, Oettingen-Spielberg, Oettingen-Wallerstein und Oettingen-Baldern) war den einzelnen Herrschaften auch an einer gut funktionierenden religiösen Aufsicht über ihre jeweiligen jüdischen Untertanen gelegen. Diese Funktion erfüllten die Rabbinate in Oettingen und Wallerstein, indem die dortigen Rabbiner die traditionell religiösen Belange der Juden regelten (unter anderem auch Heiratsverträge abfassten, welche althergebrachte bedeutende Rechtspositionen für die Braut festlegten), ansonsten auch für die juristischen Regelungen von Streitigkeiten unter Juden zu sorgen hatten.

 

Von stärkerer Bedeutung (schon wegen der größeren Anzahl der dazu gehörigen jüdischen Gemeinden) war zunächst das Rabbinat Oettingen. Erwähnenswert ist hierbei noch, dass die beiden Orts- und Amtsherrschaften sich im Zuge der Reformation auch konfessionell aufgespaltet haben, indem im 16. Jahrhundert die Linie Oettingen-Spielberg katholisch blieb, die Linie Oettingen-Oettingen jedoch zum evangelischen Glauben konvertierte. Somit gab es dann in Oettingen "katholische Juden" und "evanglische Juden". Über diese Bezeichnungen amüsierten sich bereits die damaligen Zeitgenossen. Keinen Einfluss hatte diese Spaltung jedoch auf das Oettinger Rabbinat, dem die Juden beider Herrschaftslinien gleichermaßen zugeordnet blieben. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich dann allerdings das Wallersteiner Landrabbinat als äußerst aktiver Gegenpol zum Oettinger Landrabbinat, zum einen aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Wallersteiner Herrschaft als Folge der Erbauseinandersetzung nach dem Aussterben der Linie Oettingen-Oettingen (1731), und zum anderen dann auch aufgrund der Existenz hochrangiger rabbinischer Persönlichkeiten, deren Vorfahren schon über Generationen zum religiösen Adel des orthodoxen Judentums gehört hatten. Die Rabbiner des Wallersteiner Rabbinats im 18. und 19. Jahrhunderts sind Gegenstand der nachstehenden Ausführungen.

 

 

PINCHAS MOSES KATZENELLENBOGEN

(Landrabbiner in Wallerstein 1719 - 1720)

 

Die Verhältnisse des Wallersteiner Rabbinats zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind noch wenig erforscht. Eine der ersten aus dieser Zeit bekannten rabbinischen Persönlichkeiten ist der 1691 in Dubnow (Polen) geborene Pinchas Moses Katzenellenbogen. Er betreute Wallerstein, Pflaumloch und Oberdorf, allerdings nur für eine sehr kurze Zeit, muss aber bei den Juden im Ries einen bleibenden positiven Eindruck hinterlassen haben, der sich dann darin zeigte, dass man Jahrzehnte später unbedingt seinen Sohn für das Oettinger Rabbinat haben wollte.  Pinchas Moses Katzenellenbogen war der Spross einer sehr alten und bedeutenden Rabbinerfamilie, sein Ur-Ur-Ur-Großvater war Saul Wahl, der um 1600 aufgrund seiner honorigen Persönlichkeit für eine Nacht zum König von Polen bestimmt wurde, als man sich "auf die Schnelle" nicht auf einen neuen König einigen konnte. Zumindest besagt dies die Legende. (04)

 

Pinchas Moses Katzenellenbogen war verheiratet seit 1713 mit Sara Rechel, einer Tochter von Jakob Oettingen. Nach deren überraschendem frühzeitigen Tod am 18. März 1720 verließ dann Pinchas Moses Katzenellenbogen Wallerstein, übernahm für ein Jahr das Rabbinat in Leipnik (Mähren) und heiratete Alik, die Tochter des Rabbiners Gabriel Eskeles in Nikolsburg (Mähren). Von längerer Dauer war dann letztlich sein Wirken für das Rabbinat in Marktbreit (Mittelfranken), dem er bis 1750 vorstand. Allerdings war ihm die dortige Judenschaft aufgrund ihrer geringen Frömmigkeit verleidet, sodass ihm sein Wechsel auf das Rabbinat in Boskowitz (Mähren) 1750-1764 wie eine Erlösung erscheinen musste. Nach dem Tod seiner zweiten Gattin 1764 setzte sich Pinchas Moses Katzenellenbogen in Schwabach zur Ruhe, starb jedoch alsbald um 1766. Sein in Marktbreit geborener Sohn Jacob Pinchas Katzenellenbogen übernahm 1764 auf ausdrücklichen Wunsch der Oettinger Judenschaft das Landrabbinat in Oettingen und blieb in diesem Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1795, worauf sein Sohn Pinchas Jacob Katzenellenbogen wiederum bis zu dessen Tod im Jahr 1845 weiterhin das Rabbinat Oettingen betreute. Die Rabbiner aus der Familie Katzenellenbogen hatten im Ries einen vorzüglichen Ruf, ihre lange Amtszeit zeigt dies ganz deutlich.

 

 

ABRAHAM DAVID MAHLER AUS PRAG

(Landrabbiner für Wallerstein 1715  – 1730)

 

Eine herausragende Rolle in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts spielte der aus Prag stammende Rabbiner Abraham David Mahler, der ab ca 1715-1720 dem Oettinger Landrabbinat vorstand und auch eine Zeit lang die Gemeinden in Wallerstein und Oberdorf mitbetreute, bis 1730 die Wallersteiner Juden meinten, sie müssten wieder einen eigenen Rabbiner vor Ort haben und deshalb Isaac Israel aus Proßnitz zum Landrabbiner für  Wallerstein wählten. Für Mahler war dieser Verlust schmerzlich, sah er hierin auch eine persönliche Kränkung, nachdem er sich ja nichts zuschulden kommen lassen hatte, was diese Abwahl gerechtfertigt hätte. Allerdings blieben ihm außer Oettingen noch Harburg und Mönchsdeggingen (aus der Herrschaft Oettingen-Oettingen) sowie die fränkischen Gemeinden Schopfloch und Mönchsroth (aus der Herrschaft Oettingen-Spielberg). (05) Das änderte sich erst mit dem Tod von Fürst Albrecht Ernst II aus der Linie Oettingen-Oettingen im Jahr 1731, der ohne männliche Nachkommen verstarb. In seinem Testament hatte er den Übergang seiner Herrschaft an die Linie Oettingen-Spielberg verfügt. Diese Verfügung wurde jedoch von der Linie Oettingen-Wallerstein angefochten. Nach jahrelanger prozessualer Auseinandersetzung fiel ein wesentlicher Teil der ehemaligen Herrschaft Oettingen-Oettingen an Oettingen-Wallerstein.

 

Und so kam es, dass die Juden aus Harburg und Mönchsdeggingen ab 1743 dann nicht weiterhin wie gewünscht unter dem Oettinger Rabbinat und dem dortigen hoch geschätzten Rabbiner Abraham David Mahler bleiben durften, sondern widerwillig dem Wallersteiner Rabbinat zugeordnet wurden, welches dadurch einen von der Herrschaft gewünschten höheren Stellenwert bekommen sollte. Als dann der Wallersteiner Rabbiner Isaac Israel 1750 verstarb, machten die Harburger und Mönchsdegginger Juden einen letzten Versuch, ihre althergebrachte Zugehörigkeit zum Rabbinat Oettingen unter Rabbiner Abraham David Mahler doch noch wieder zu erlangen, was jedoch von Graf Philipp Ernst (Linie Oettingen-Wallerstein) abgelehnt wurde, der sich massiv in den Prozess der Neuwahlen einmischte, indem er den bei Löw Simon Ulmann in Pfersee beschäftigten Schulmeister favorisierte. (06) Mahler zog aus dieser neuerlichen Missachtung seiner Person die Konsequenzen, wohl auch weil 1752 in Oettingen seine Gattin verstorben war und ihm das weitere Dasein in der Grafschaft Oettingen verleidet war. Er ging nach Bamberg und betreute das dortige Rabbinat bis 1757, danach verliert sich seine Spur.

 

 

ISAAC ISRAEL AUS PROSSNITZ

(Landrabbiner in Wallerstein 1730 – 1750)

 

Der auf den Rabbiner Abraham Mahler folgende und aus einer Lemberger Rabbinerdynastie stammende Isaac Israel hatte bereits in Proßnitz/Mähren (heute Prostejov) als Rabbiner gewirkt und wurde zunächst auf drei Jahre zum Wallersteiner Landrabbiner gewählt. Dieser von der Wallersteiner Judengemeinde gewollten Entscheidung hatte sicherlich auch die vom Wallersteiner Grafen gewollte Stärkung des Standorts Wallerstein zugrunde gelegen, nachdem Oettingen durch das Engagement des beliebten Rabbiners Abraham David Mahler zum dominanten Rabbinat in der Grafschaft Oettingen zu werden drohte. Isaac Israel starb 1750 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Wallerstein begraben. Der Grabstein mit Nummer 634 existierte bis zum Ende des 2. Weltkriegs, heute ist lediglich noch die im 19. Jahrhundert notierte Inschrift bekannt. Sein Sohn war 1782-1797 unter dem Namen Ezechiel Isak Wertheimer Rabbiner in Jebenhausen bei Göppingen. Rabbiner Aron Tänzer erwähnt ihn in seiner Ausarbeitung zur Geschichte der Juden in Jebenhausen und Göppingen und weist auch darauf hin, dass Ezechiel Isak Wertheimers Großvater ein angesehener Rabbiner in Lemberg gewesen sei. (07)

 

Nach dem Tod von Isaac Israel im Jahr 1750 war von Seiten der Wallersteiner Herrschaft der Lehrer bei Löw Simon Ulmann aus Pfersee als Kandidat für das Wallersteiner Rabbinat favorisiert worden. Die traditionell allein zur Wahl eines neuen Rabbiners autorisierten Judengemeinden nahmen inzwischen jedoch die Einmischung des Wallersteiner Grafen in ihre angestammten Rechte recht übel und entschieden sich für einen ganz anderen Kandidaten als Nachfolger im Wallersteiner Rabbinat, nämlich Zwi Kahana Rappaport, einen Sohn des 1746 verstorbenen Fürther Rabbiners Baruch Abraham Kahana Rappaport, den sie als "mit besonderer Gelehrsamkeit und Conduite und mit ziemlichen (finanziellen) Mitteln versehen" beschrieben. Dies im Gegensatz zum Pferseer Kandidaten, dem sie zwar bescheinigten ein guter Schulmeister zu sein, ihm allerdings darüber hinaus die Eignung zum Rabbiner absprachen und im übrigen befürchteten, er könne den jüdischen Gemeinden auch in finanzieller Hinsicht zur Last fallen. (08)

 

 

ZWI KAHANA RAPPAPORT AUS FÜRTH

(Landrabbiner in Wallerstein 1751 - 1763)

 

Sein traditioneller Name "Zwi Kahana Rappaport" wies durch die Formulierung Kahana (= Cohen) auf die Abstammung seiner Vorfahren von Hohepriester Aron hin. In Wallerstein wurde er von der fürstlichen Verwaltung lapidar (und phonetisch vereinfacht) als "Hirsch Kuhn" geführt. Er war zunächst Rabbiner in Fürth gewesen und wurde dann ab 1751 Nachfolger von Isaac Israel für das Landrabbinat Wallerstein. Auch sein aus Lemberg in Galizien stammender Vater Baruch Abraham Rappaport war Rabbiner in Fürth gewesen, seine Mutter hatte den berühmten Rabbi Löw in Prag zu ihrem Vorfahren. Zwi Kahana Rappaport war ein bedeutender Gelehrter, ein Spross der hoch angesehenen Rabbinerfamilie Rappaport, deren Name sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und die auch heute noch in orthodoxen Kreisen einen erstklassigen Ruf hat. Rabbi Zwi Kahana Rappaport starb 1763, sein Grabstein auf dem Wallersteiner Friedhof ist nicht mehr erhalten. (09)

JIZCHAK KAHANA RAPPAPORT, SOHN VON ZWI KAHANA RAPPAPORT

(Landrabbiner in Wallerstein 1763 – 1772)

 

Sein traditioneller Name lautete Jizchak Kahana Rappaport, er war der Sohn des vorstehenden Wallersteiner Rabbiners Zwi Kahana Rappaport. In den Wallersteiner Amtsgeldrechnungen wurde sein Name vereinfacht zu "Isaak Hirsch Kuhn" notiert. Ab 1751 war er zunächst als Dajan in Lissa (heute Leszno) bei Posen in Polen tätig gewesen. Nach dem Tod seines Vaters 1763 in Wallerstein bemühte er sich um Fortführung von dessen Wirken in seiner Eigenschaft als Landrabbiner für die Teilgrafschaft Oettingen-Wallerstein und Leiter der Jeschiwa bis zum Jahr 1772, als ihm die Stelle des Oberrabbiners in Bonn (zuständig für die Landjudenschaft in Kurköln und der westfälischen Region Arensburg) angeboten wurde, die er dann bis zu seinem Tod im Jahr 1788 innehatte.

 

 Sein Grab wurde ihm auf dem jüdischen Friedhof von Schwarzrheindorf bereitet, dem für Bonn zuständigen Judenfriedhof auf der anderen Seite des Rheins. Die hebräische Inschrift auf seinem heute noch erhaltenen, schlichten Grabstein weist ihn als frommen und demütigen Gelehrten aus, der sich stets der Fürsorge seiner Gemeinde gewidmet hatte. Er war einer der wirklichen Großen der damaligen Zeit. (10)

 

 

SIMCHA KAHANA RAPPAPORT, BRUDER VON JIZCHAK KAHANA RAPPAPORT

(Landrabbiner in Wallerstein 1772 – 1788)

 

Sein traditioneller Name lautete Simcha Kahana Rappaport (in den Wallersteiner Amtsgeldrechnungen auf "Benjamin Hirsch Kuhn" umgeformt), sein bürgerlicher Name war ab 1808 "Benjamin Cohen", hinweisend auf die Abstammung seiner Vorfahren vom Hohepriester Aron in biblischer Zeit. Geboren wurde er 1734 in Fürth. Nach seiner Heirat mit Ella Anschel (seiner 2. Gattin) versuchte er sich als Kaufmann, allerdings mit wenig Erfolg. Das Thorastudium und die rabbinische Laufbahn entsprachen mehr seinen Ambitionen und Fähigkeiten. So wurde er zunächst um 1760 Unterrabbiner in Heidingsfeld bei Würzburg, dann in Bamberg und ab 1768 Rabbiner in der Fürst Schwarzenberg'schen Herrschaft Marktbreit in Mittelfranken.

 

Allerdings nur für kurze Zeit, nachdem er schon 1772 auf das wesentlich attraktivere Landrabbinat Wallerstein wechselte. Dies in Nachfolge seines Bruders, der nach Bonn berufen worden war. 1788 trat Benjamin Cohen wiederum an die Stelle seines inzwischen verstorbenen Bruders als Oberrabbiner von Bonn und behielt diese Position bis zum Jahr 1808.

 Als Oberrabbiner hatte er wesentlichen Anteil an der 1801 wieder gegründeten jüdischen Gemeinde von Köln. Auch vertrat er die rheinische Judenschaft in dem von Napoleon 1807 nach Paris einberufenen Sanhedrin, der Versammlung hochrangiger religiöser Vertreter jüdischer Gemeinden im napoleonischen Herrschaftsbereich. Simcha Kahana Rappaport starb 1816 in Bonn und wurde dann, gleich seinem Bruder, auf dem Friedhof Schwarzrheindorf begraben. Er war der letzte Rabbiner von Kurköln. (11)

 

Anzumerken ist aufgrund der Bedeutung für die bayerisch-schwäbische Landesgeschichte sein Schwiegersohn Abraham Mayer, von 1787 bis 1835 als Rabbiner zuständig für Altenstadt und Osterberg (südöstlich von Ulm), gefolgt wiederum von dessen Sohn Mayer Jacob Mayer von 1837 bis 1849 in derselben rabbinischen Funktion (12). Im Übrigen sind aus Simcha Kahana Rappaports Nachkommenschaft noch drei Linien von großer gesellschaftlicher Bedeutung erwähnenswert, ihrer soll im Folgenden nun in Kurzbiographien gedacht werden

 

 

DIE VERLAGSBUCHHANDLUNG COHEN-BOUVIER IN BONN

 

An die Nachkommenschaft des Bonner Oberrabbiners Benjamin Cohen erinnert heute noch die 1829 von seinem Enkel Max Cohen gegründete Universitätsbuchhandlung Bouvier in Bonn. Geschäftspartner der damals als Lithographische Anstalt und Kunsthandlung geführten Firma "Henry & Cohen" war Aimé Henry. Ab 1835 wurde das Sortiment um den Buchhandel erweitert. 1861 schied Aimé Henry aus, bei Max Cohen blieben Buchhandel und Verlag.

 

Von da ab bis zum 3. Reich war dann "Cohen" der alleinige Firmenname, auch nachdem Enkel Fritz Cohen im Jahr 1927 verstorben war und dessen nichtjüdische Gattin Hedwig (geborene Bouvier) den Betrieb selbständig weiterführte. Jedoch änderte Hedwig Cohen endlich 1937 den Firmennamen in "Bouvier" , um den Fortbestand des ansonsten als "nicht arisch" eingestuften Buchhandels nicht zu gefährden. Der Bouvier-Verlag in Bonn existiert heute noch in alter Frische. Jeder Buchhändler kennt ihn, nur wenige allerdings wissen jedoch um seinen familiengeschichtlichen Bezug zu Wallerstein. (13)

ELSE LASKER-SCHÜLER

(Ur-Ur-Enkelin des Oberrabbiners Benjamin Cohen)

 

Ähnlich verhält es sich mit der ansonsten wohlbekannten Lyrikerin Else Lasker-Schüler, die ebenfalls aus der Nachkommenschaft des Bonner Oberrabbiners Benjamin Cohen stammt. Er war ihr Ur-Ur-Großvater. Dessen Sohn, also Else Lasker-Schülers Ur-Großvater Hirsch Benjamin Cohen (1765-1832) hatte um 1786 in Harburg (Bayerisch Schwaben) die Tochter von Israel Guggenheimer geheiratet und lag in der Folgezeit seinem Schwiegervater zunächst einmal auf der Tasche, nachdem er offensichtlich zum Handel nicht zu gebrauchen war. Allerdings war er in den traditionellen religiösen Schriften recht beschlagen, wirkte in Harburg bereits auch als örtlicher Unterrabbiner und bemühte sich zunächst, allerdings trotz Fürsprache des Wallersteiner Fürsten Kraft Ernst vergeblich, um die vakante Rabbinerstelle in Marktbreit.

 

Jedoch erhielt er dann 1791 endlich die Stelle des Rabbiners in Geseke (in Westfalen, unweit von Paderborn gelegen), vermutlich letzten Endes durch die Fürsprache seines Vaters, des Bonner Oberlandesrabbiners. (14) Else Lasker-Schüler würdigt die Person ihres Ur-Großvaters in der romantisch verbrämten Rückbesinnung auf ihre eigene Familiengeschichte ("Arthur Anonymus und seine Väter", erschienen 1932 im Rowohlt Verlag Berlin).  Rosa Cohen, eine Tochter des Geseker Rabbiners Hirsch Benjamin Cohen, heiratete Moses Schüler, der in Geseke in unmittelbarer Nachbarschaft zur Familie Cohen groß geworden war.

 

Deren Sohn Aron Schüler wiederum (geboren in Geseke, dann Bankier in Elberfeld bei Wuppertal) hatte die 1869 geborene Else zur Tochter, die in erster Ehe 1894 den Berliner Arzt Dr Berthold Lasker heiratete, in zweiter Ehe Georg Levin, dem sie den Künstlernamen "Herwarth Walden" verpasste und der als Komponist, Schriftsteller und Förderer der Avantgarde berühmt wurde. Die Ehe zerbrach im Jahr 1912. Else Lasker-Schülers literarisches Werk, beseelt von christlichen, alttestamentarischen und orientalischen Elementen, war stark vom damals herrschenden expressionistischen Zeitgeist beseelt

 

Mit ihrer exzentrischen Erscheinung war sie Mittelpunkt der Berliner Bohème im Café des Westens und pflegte unter anderem enge Kontakte zu den Schriftstellern Karl Kraus, Gottfried Benn und Georg Trakl, sowie den Malern Oskar Kokoschka, Franz Marc und George Grosz. Max Reinhardt inszenierte ihre Bühnenstücke. Als sie 1933 Berufsverbot erhielt und auch noch von SA-Männern auf offener Straße niedergeschlagen wurde, emigrierte sie in die Schweiz, wo sie mit Thomas und Klaus Mann Kontakt hatte. Seit 1939 lebte sie in Jerusalem, finanziell unterstützt vom Verleger Salman Schocken. 1945 starb sie dort verarmt und vergessen als "Schwarzer Schwan Israels". (15)

 

 

DAS HANDELSGESCHÄFT COHEN IN WALLERSTEIN UND MÜNCHEN

 

Der Loden-Frey in München ist heute eines der alteingesessenen und renommierten Textilwarengeschäfte und jedermann ein Begriff. Der Zusammenhang mit der spektakulären "Arisierung" des jüdischen Kurz-, Band- und Posamentiergeschäfts Heinrich Cohen ist jedoch heute kaum mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Begonnen haben die geschäftlichen Aktivitäten der Familie Cohen im Bandhandel (Schneiderartikel) mit Anschel Benjamin Cohen 1815 in Wallerstein unter der Firma "AB Cohen" (man vermied in jüdischen Firmennamen oftmals den Vornamen ganz bewusst aufgrund der in weiten Bevölkerungskreisen bestehenden antisemitischen Ressentiments).

 

Das zunächst in bescheidenem Umfang betriebene Handelsgeschäft wurde vom Sohn Aron Benjamin Cohen (also ebenfalls mit der Firmierung "AB Cohen") von Wallerstein aus zum Großhandel in beachtlichem Stil weiterentwickelt, indem auch die Messen in Frankfurt und Leipzig bedient wurden. Allerdings konnte der Wallersteiner Betrieb in München erst Mitte des 19. Jahrhunderts Fuß fassen, die Münchner Großhändler hatten bislang die erfolgreichen Aktivitäten von "AB Cohen" aus Gründen der Konkurrenz mit Argwohn betrachtet. Jedoch hatte Heinrich Cohen, der zweite Sohn des Firmengründers, bereits 1821 in München ein Einzelhandelsgeschäft mit demselben textilen Warensortiment begründen können. (16)

 

Einen bemerkenswerten Höhenflug erreichte dieses Handelsunternehmen dann mit dessen gleichnamigem Enkel Heinrich Cohen (1869-1940), der mit einer wahren Heerschar von Angestellten sein anspruchsvolles Spezialgeschäft für Besatzartikel, Seidenstoffe und Schneiderfurnituren betrieb. Im Übrigen war er auch als begeisterter Bergsteiger jahrzehntelang Mitglied der Münchner Sektion des Alpenvereins. Das Ende von Heinrich Cohens äußerst erfolgreicher Unternehmenstätigkeit kam dann 1937 mit der "Arisierung". Herbert Stiehler, damals Chefverkäufer bei Loden-Frey, erwarb die Firma Heinrich Cohen mittels hoher Kapitalbeteiligung durch Loden-Frey. Heinrich Cohen musste machtlos der Zerschlagung seines Lebenswerks zusehen, das zwar zunächst noch unter "Heinrich Cohen" firmierte, alsbald jedoch in "Herbert Stiehler KG" umbenannt wurde. Einer der vier Kommanditisten war Georg Frey, Gesellschafter der Münchner Lodenfabrik J.G. Frey. Heinrich Cohen starb 1940 in München, Deportation und KZ blieben ihm dadurch erspart. Sein Grundbesitz ging nach dem Krieg an Loden-Frey. Stiehler entwickelte sich in den 50er Jahren zu einem Star der Münchner High Society, nannte sich "Styler" und wurde Generalkonsul für Thailand. Sein Modepalast wurde über München hinaus zum Begriff höchster Eleganz. Allerdings kam dann das bittere Ende dieses illustren Geschäftsbetriebs konkursbedingt im Jahr 1960. (17)

 

 

ASCHER LÖW UND DAS ENDE DES ALTEN REICHS

(Landrabbiner in Wallerstein 1789 – 1809)

 

Nachfolger von Rabbi Benjamin Hirsch Kuhn im Rabbinat Wallerstein wurde 1789 der 1754 in Minsk geborene und in Metz aufgewachsene Ascher Löw, Sohn des angesehenen Rabbiners Löw ben Ascher in Metz. Ascher Löw war zuvor bereits seit 1783 Rabbiner in Niederwerrn gewesen und im Übrigen auch verheiratet mit der Tochter des aus Wallerstein gebürtigen Niederwerrner Hoffaktors und Rabbiners Samuel Wolf, was ihm naturgemäß den Einstieg ins Wallersteiner Landrabbinat erleichterte. (18) Alsbald machten sich jedoch Spannungen zwischen ihm und der Wallersteiner Judengemeinde bemerkbar, indem liberal Gesinnte sich für die "Abschaffung unnützer Ceremonien" stark machten.

 

Die von Moses Mendelssohn in Berlin befürwortete Reformierung des Judentums hatte nun auch in ersten Ansätzen Wallerstein erreicht, was dem im orthodoxen Glauben verhafteten Rabbiner Ascher Löw ein Gräuel gewesen sein mochte. Es gab andererseits auch Ärger als Ascher Löw eigenmächtig von bestehenden Traditionen abwich. (19)

 

Hinzu kam, dass die Herrschaft (in diesem Fall konkret die Fürstin Wilhelmine Friederike, Witwe des 1802 verstorbenen Fürsten Kraft Ernst) immer mehr in traditionell jüdisch religiöse Belange einzugreifen begann, dies entsprechend dem Zeitgeist, der eine Einordnung der religiösen Belange der Juden in Form einer Kirche unter staatlicher Oberaufsicht erstrebte, was ja dann im weiteren Verlauf der Geschichte auch gründlichst realisiert wurde. (20)

 

Ascher Löw war der ewigen Scherereien endlich überdrüssig geworden, zumal nun auch seit 1806 ein wesentlicher Bereich der Teilgrafschaft Oettingen-Wallerstein Bestandteil des (aus napoleonischen Gnaden) neu gegründeten Königreichs Württemberg geworden war. Das Rabbinat Wallerstein hatte die neuerdings württembergischen Orte Aufhausen, Oberdorf und Pflaumloch verloren und war für Ascher Löw unattraktiv geworden, dem lediglich noch (von ein paar wenigen anderen Landgemeinden abgesehen) das streitsüchtige Wallerstein unterstand. Im übrigen hatte man Ascher Löw 1809 die Stelle als Großrabbiner von Metz angeboten, was seinen Abschied aus Wallerstein nun wahrlich nicht allzu schwer fallen ließ.

 

 Bedingt durch die Tatsache, dass er in jungen Jahren lange in Metz gelebt hatte und außerdem Sohn des dortigen Rabbiners war, brachte man ihm eine große Wertschätzung entgegen. Auch aus Paris ging der Ruf des Central-Consistoriums an ihn, nicht zuletzt wegen seiner vorzüglichen französischen Sprachkenntnisse. Trotz all dieser großen Ehrungen entschied sich dann Ascher Löw letzten Endes, dem Ruf des von ihm hoch geschätzten badischen Großherzogs Karl Friedrich zu folgen.

 

Und so trat er in Karlsruhe als Nachfolger von Tia Weil die Stelle des Oberlandesrabbiners für das Großherzogtum Baden an. (21) Er starb nach segensreichem Wirken am 23. Juli 1837. (22) Sein 1796 in Wallerstein geborener Sohn Abraham Ascher blieb in der religiösen Tradition seiner Vorväter. Er wurde zunächst Rabbiner an der Klaus-Synagoge in Mannheim und dann Rabbiner in Bühl (Baden) bis zu seinem allzu frühen Tod im Jahr 1837, wenige Monate nachdem sein Vater verstorben war. (23)

 

Ein Schüler Ascher Löws war übrigens der 1780 in Oberdorf geborene Salomon Wassermann, der dann an der Fürther Jeschiwa studierte, anschließend beim (ebenfalls aus Oberdorf stammenden) Juwelier Nathan Abraham Oberndörfer (Stammvater der Münchner Bankiersfamilie Oberndörfer) in Ansbach als Hauslehrer tätig war und sich mit dessen Köchin Bertha Weißkopf aus Gunzenhausen verehelichte. Sie war eine Tante des Wallersteiner Rabbiners David Weißkopf, von dem noch die Rede sein wird. Salomon Wassermann brachte es später nach Zwischenstationen als Rabbiner in Ansbach und Laupheim bis zum Bezirksrabbiner in Mergentheim, sein Sohn Moses Wassermann wiederum wurde 1874-1882 Bezirksrabbiner und Kirchenrat in Stuttgart, vom württembergischen König als "Moses von Wassermann" in den persönlichen Adelsstand erhoben. (24)

 

FAST VIERZIG JAHRE VAKANZ IM WALLERSTEINER LANDRABBINAT

(1809 - 1847)

 

Die königlich bayerische Regierung drängte nach dem Weggang von Ascher Löw mit Nachdruck auf die Wiederbesetzung des Wallersteiner Landrabbinats und Eingliederung der bisher nach Oettingen orientierten Gemeinden Ederheim und Kleinerdlingen, stieß jedoch auf beharrlichen Widerstand. Die zumeist orthodoxen Landjuden fanden sich nicht damit ab, dass ihre althergebrachte religiöse Autonomie beschnitten werden sollte und ihr Judentum künftig lediglich als eine vom Staat beaufsichtigte Kirche gelten sollte. So behalf man sich noch lange Zeit recht gern mit den ohnehin vorhandenen örtlichen Unterrabbinern.

 

 

INTERIMSLÖSUNG MIT BARUCH LÖW STEPPACHER

(Verweser des Wallersteiner Landrabbinats 1807 – 1838)

 

Rabbinischer Stellvertreter für das gesamte Landrabbinat Wallerstein war nun in dieser Zeit der Vakanz fast dreißig Jahre lang der 1791 vom Oettinger Rabbiner Jakob Pinchas Katzenellenbogen ordinierte Unterrabbiner Baruch Löw Steppacher in Kleinerdlingen, der diese Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit bis zu seinem Tod im Jahr 1838 (im Alter von 83 Jahren) ausübte. Im Gegensatz zu den neuerdings von der königlichen Regierung geforderten studierten und staatlich geprüften Rabbiner war er ohne großen Kostenaufwand zu haben. Man schätzte ihn nicht zuletzt auch deswegen. Die Juden im ländlichen Raum lebten eben großenteils in recht bescheidenen Verhältnissen und konnten sich keine großen Ausgaben leisten. Sein letzte Ruhestätte fand Baruch Löw Steppacher auf dem Wallersteiner Judenfriedhof. Sein bescheidener Grabstein im Kreise anderer Familienmitglieder ist immer noch gut erhalten. (25) Von 1817 bis 1821 war übrigens Hayum Schwarz als Schüler und Assistent bei Baruch Löb Steppacher in Kleinerdlingen, er wurde 1828 Ortsrabbiner von Hürben, der letzte, der in Hürben tätig sein sollte. Er starb dort am 3. Mai 1875.

 

Nach dem Tod von Baruch Löb Steppacher kam es in Harburg und Mönchsdeggingen unter dem Rabbiner Elkan Selz zu einem eigenen kleinen Rabbinat, indem die königliche Forderung nach Erneuerung des Wallersteiner Landrabbinats nun nicht mehr prinzipiell ignoriert werden konnte, man aber aus lang gehegter Abneigung gegen die Wallersteiner Herrschaft nicht mehr Bestandteil des dortigen Rabbinats sein wollte. (26) Im Übrigen war Elkan Selz aus Harburg gebürtig und stammte aus angesehener Familie, war auch wohl deswegen wohlgelitten. Seine Mutter war die Schwester des Salzfaktors Elkan Wassermann, Stammvater einer Reihe bedeutender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie dem Serologen August Wassermann oder dem Sprecher der Deutschen Bank Oscar Wassermann. (27)

 

Elkan Selz sprach ein gutes Deutsch und war auch in der Lage, eine gut formulierte Predigt in deutscher Sprache zu halten. Alles Fähigkeiten, welche die altgedienten, orthodox ausgebildeten Rabbiner früher nicht zu haben brauchten, denn sie hatten ihre Funktion außerhalb der Synagoge als Hüter religiöser Rechte und Pflichten, und ihre Sprache war hebräisch, ihr Deutsch oft genug nicht sonderlich gut. Den Dienst in der Synagoge besorgte ehemals im Wesentlichen der Vorsänger, dessen vornehmliche Aufgabe der melodisch gestaltete Vortrag des betreffenden Wochenabschnitts aus der Thora (den 5 Büchern Moses) war. Die mit dem christlichen Pfarrer vergleichbare Funktion, auch jene als Prediger in der Synagoge, wurde den Rabbinern erst mit dem 19. Jahrhundert auferlegt, dies zum Leidwesen jener Juden, die dem Glauben ihrer Väter treu bleiben wollten.

 

 

LETZTE BLÜTE DES WALLERSTEINER RABBINATS MIT DAVID WEISSKOPF

(Distriktrabbiner 1847 - 1882)

 

1847 entschloss man sich dann endlich auch in Wallerstein zur Wahl eines neuen Rabbiners, dies auf massiven Druck der Regierung und nachdem nun obendrein noch das Oettinger Rabbinat durch den Tod von Pincas Jacob Katzenellenbogen 1845 vakant geworden war. Gewählt wurde der in Gunzenhausen geborene David Weißkopf, der zunächst vier Jahre bei Rabbiner Moses Höchheimer in Ansbach gelernt hatte, und dann eine vorzügliche traditionelle Ausbildung beim angesehenen Würzburger Rabbiner Abraham Bing genossen hatte, der ihn auch zu seinem Assessor machte.

 

Verheiratet war David Weißkopf mit einer Nichte von Mendel Rosenbaum aus Zell, eine der großen jüdischen Persönlichkeiten dieser Zeit. (28) Gegenüber den orthodoxen Landjudengemeinden hatten letzten Endes die liberalen Wallersteiner "Residenzjuden" ihren Wunschkandidaten mit wissenschaftlicher Ausbildung (Wolf Rothenheim, aus Wallerstein stammend, ca 1850 dann nach den USA ausgewandert) nicht durchsetzen können. Das Rabbinat Oettingen sollte erst ein paar Jahre später an Wallerstein fallen. Für's Erste wurde es noch von Dr Mayer Feuchtwang (1847–1857) betreut.

Nach Feuchtwangs Weggang erhielt David Weißkopf die Amtsvertretung für das vakante Oettinger Rabbinat, was wiederum 1860 zur Zusammenlegung der beiden Rabbinatsbezirke Wallerstein und Oettingen führte. Damit unterstanden dem Rabbinat Wallerstein die Gemeinden Ederheim, Kleinerdlingen, Oettingen, Hainsfarth, Steinhart, sowie Mönchsroth in Mittelfranken und natürlich eben auch Wallerstein selbst.

 

Von einer Ausdehnung dieser Größenordnung hatten die Amtsvorgänger der letzten Jahrhunderte allenfalls träumen können. Allerdings war diese Zusammenfassung auch aus Kostengründen nötig geworden, litten doch die Landgemeinden unter starkem Rückgang der jüdischen Bevölkerung. Die jungen und dynamischen Familien waren längst in die großen Städte oder nach Übersee ausgewandert. 1871 schloss sich allerdings dann noch die neu gegründete Nördlinger Judengemeinde dem Wallersteiner Bezirksrabbinat an, man war froh, sich in ein bereits bestehendes Rabbinat einfügen zu können, nicht zuletzt eben auch hier wegen der Kosten.

 

In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass es in Nördlingen nach der Judenvertreibung von 1507 keine jüdische Gemeinde mehr gegeben hatte. Zur Neugründung 1871 war natürlich auch die Anstellung eines Cantors (traditionell "Vorsänger" genannt) erforderlich, der die religiösen Dienste in der Synagoge zu gestalten hatte. Die Wahl fiel auf den 1852 in Fischach geborenen Abraham Weiler, dessen Stiefvater Mayer Weißkopf ein Sohn des Wallersteiner Rabbiners David Weißkopf war. Diese Familienbeziehung hat Abraham Weilers Anstellung sicherlich begünstigt. Allerdings muss sich der Kantor Weiler als seines Amtes würdig erwiesen haben, indem er es bis zu seinem Lebensende im Jahr 1908 getreulich ausübte und auch noch seinen Pflichten als religiöser Lehrer gerecht wurde. Beliebt bei den Nördlinger Bürgern (auch bei den Christen), war er nicht zuletzt auch als guter Schütze im örtlichen Schützenverein. (29)

 

 

DAS ENDE DES WALLERSTEINER RABBINATS UNTER MARX MICHAEL KOHN

(1882 – 1888)

 

Im geradezu grandiosen Wachsen der Bedeutung des Wallersteiner Rabbinats war jedoch bereits auch schon dessen Niedergang programmiert. Altershalber zog David Weißkopf 1876 nach Kleinerdlingen zu seinem Schwiegersohn Marx Michael Kohn und verlegte gleichzeitig auch den Sitz des Rabbinats dorthin. Voraus gingen kleinliche Streitereien mit den Wallersteiner Juden über die Kürzung des Zuschusses zur Rabbinerwohnung.

 

Die Hinwendung nach Kleinerdlingen dürfte auch ganz persönliche Gründe gehabt haben, nachdem David Weißkopfs Ur-Großvater Moses Jonas mit seiner Familie einst von Kleinerdlingen nach Gunzenhausen gezogen war, der Enkel damit ins Reich der Vorväter zurückkehrte. (30) Marx Michael Kohn, der eine orthodoxe Ausbildung unter anderem beim Rabbiner Abraham Wechsler in Schwabach erhalten hatte, assistierte seinem hochbetagten Schwiegervater bis zu dessen Tod im Jahr 1882 und betreute dann noch das Wallersteiner Rabbinat ein paar Jahre weiter, bis er selbst 1888 im Alter von 62 Jahren verstarb.

 

Auch Marx Michael Kohn stammte aus altem jüdischem Geistesadel. Seine Ordination als Rabbiner hatte er von Dr Mayer Feuchtwang und seinem Schwiegervater David Weißkopf erhalten. Allerdings hatte Marx Michael Kohn kein wissenschaftliches Studium und keine staatliche Prüfung vorzuweisen, konnte demnach nur mit einem Dispens der königlichen Regierung als rabbinischer Substitut für das Wallersteiner Rabbinat tätig sein.

 

Seinem in Kleinerdlingen geborenen Sohn Pinchas Kohn (1867-1941) sollte eine große Zukunft beschert sein. Er wurde Rabbiner für den Distrikt Ansbach (1896-1916) und war dann im 1. Weltkrieg zusammen mit Dr Emanuel Carlebach (Rabbiner in Köln) zuständig für die sensible Betreuung der Juden in Polen während der Zeit der deutschen Besatzung. Er starb hochgeachtet in Jerusalem. (31)

 

Nach Marx Michael Kohns Tod plädierten sämtliche jüdischen Gemeinden gegen eine Wiederbesetzung des Wallersteiner Rabbinats. Stattdessen entschloss man sich für den vorläufigen Anschluss an das Rabbinat Ichenhausen unter Dr Aron Cohn, Sohn des Dajans und Klausrabbiners Jekew Cohn in Altona (bei Hamburg). Lediglich Hainsfarth wandte sich dem Schwabacher Rabbinat unter dem orthodoxen Rabbiner Löw Wissmann zu. (32) Trotz allem wollte man den Rabbinatsdistrikt Wallerstein noch "für später" zusammenhalten. Rückblickend war das wohl kaum mehr als ein frommer Wunsch und ein wehmütiger Abschied von nicht mehr wiederkehrender Vergangenheit. Die große Zeit des Wallersteiner Rabbinats war nun nach letzter unverhoffter Blüte endgültig abgelaufen.

 

DER WALLERSTEINER JUDENFRIEDHOF

 

Sichtbare Erinnerung an jene Rabbinerpersönlichkeiten von einst sind nun lediglich noch die eingangs erwähnten mächtigen Grabsteine von David Weißkopf und Marx Michael Kohn auf dem Wallersteiner Judenfriedhof (daneben im gleichen Stil die Grabsteine ihrer Gattinnen und jener von Kohns Schwester), der ehemals bis ins 19. Jahrhundert auch Begräbnisplatz für die Juden aus Oberdorf, Pflaumloch, Kleinerdlingen, Oettingen und Hainsfarth gewesen war, ehe diese Gemeinden (bis auf Kleinerdlingen) eigene Begräbnisplätze erhielten.

 

Ganz besonders bemerkenswert an diesem Friedhof ist die konsequente Nummerierung aller Grabsteine, vorgenommen im späten 19. Jahrhundert, als der aus Wallerstein stammende Bamberger Bankier Emil Wassermann die Notierung sämtlicher hebräischer Inschriften des insgesamt etwa eintausend Grabmäler umfassenden Areals in Auftrag gab. Diese mühsam und sorgfältig vom seinerzeitigen jüdischen Lehrer Hieronymus Stein besorgten Transkriptionen in hebräischer Schrift existieren heute noch (33) und legen damit für alle Zeiten Zeugnis ab gerade auch für jene Verstorbenen, deren Grabinschriften schon lange unlesbar geworden sind oder deren Grabsteine gar in den Wirren des untergehenden 3. Reichs "verschwunden" sind. Und dies sind leider nicht gerade wenige.

 

Etwa 330 von einstmals etwa 1.000 Grabsteinen sind heute noch übrig, die meisten davon mit mehr oder weniger unlesbaren Inschriften. Der Gesamteindruck erinnert bedauerlicherweise nicht mehr an die einstige große Bedeutung dieses Gräberfeldes und die Fülle der ehedem vorhandenen Grabstätten bedeutender jüdischer Persönlichkeiten.

 

 

DIE STEINMETZEN MAX KOPPEL UND JACOB HEILMANN

 

Von besonderer technischer Bedeutung im Zusammenhang mit der Betrachtung noch vorhandener Grabsteine ist die Tatsache, dass die "Rabbinergräber" allesamt den gleichen Stil aufweisen und auch vom selben Steinmetz stammen (dessen Signatur steht in hebräischer Schrift kaum lesbar am Grabsockel), nämlich von dem in Kleinerdlingen geborenen Max Koppel, der sich um 1876 als Bildhauer und Steinmetz in Nördlingen niedergelassen hatte und später mit seinen beiden Söhnen David und Emil zusammen eine erstklassige Marmorschleiferei betrieb. Dieser Familienbetrieb war wohl einer der wenigen jüdischen Betriebe dieser Art in Süddeutschland, vielleicht sogar der einzige. Edle schwarze Marmorgrabsteine aus dessen Produktion mit kunstvoll verfertigter Goldinschrift finden sich auch heute noch auf vielen jüdischen Friedhöfen im süddeutschen Raum, so zum Beispiel in Schopfloch, Stuttgart, Augsburg und München.  (34)

 

Ein anderes Grabmal, das größte von allen auf dem Wallersteiner Judenfriedhof, hat jedoch ein ganz anderer Steinmetz geschaffen (auch hier ist die Signatur des Steinmetzen noch erkennbar vorhanden). Es ist dies das unübersehbare und allzu mächtige Monument für den aus Hainsfarth stammenden Michael Ries, der es in Amerika mit Bodenspekulationen zu großem Reichtum gebracht hatte und der dann 1878 anlässlich eines Besuchs der Gräber seiner Vorfahren in der alten Heimat in Wallerstein verstarb. Er war zu Lebzeiten (von mehreren großzügigen Stiftungen einmal abgesehen) in aller Regel ein Geizkragen gewesen, insbesondere auch sich selbst gegenüber, und hätte sich sicherlich keinen solch verschwenderischen Luxus auf's Grab stellen lassen.

 

Allerdings muss angemerkt werden, dass Gelder aus seinem Nachlass den Bau des "Michael-Reese-Hospitals" in Chicago ermöglichten und das dem Stifter dann errichtete Denkmal auch ein würdiges Zeichen des Dankes an Michael Ries darstellt. Sein Grabmal schuf Jacob Heilmann (übrigens trotz dieses "jüdisch" klingenden Namens kein Jude), der damals noch einen Steinhauerbetrieb in München hatte, später dann mit seinem Schwiegersohn Max Littmann zusammen die über Bayern hinaus wohlbekannte Baufirma Heilmann & Littmann gründete und übrigens auch den Bau der Bahnstrecke Nördlingen-Dinkelsbühl besorgte. Aber dies ist eine andere Geschichte, lediglich hier kurz angedeutet, um zu zeigen welch verborgene familiengeschichtliche Schätze aus längst vergangener Zeit sich manchmal und unverhofft bei intensiven Studien offenbaren können.

 

 

 

 

*  *  *

 

 

 

ANMERKUNGEN

 

 

(01)     Ludwig Müller (1831-1910) war 1864-1872 Stadtbibliothekar und Stadtarchivar von Nördlingen. Er wurde nach dem deutsch-französischen Krieg an die Universitäts- und Landesbibliothek nach Straßburg im Elsass berufen, wo er bis zu seinem Tod tätig blieb. Er befasste sich jedoch auch von dort aus weiter mit der Geschichte von Nördlingen und Umgebung. Eine kurze Lebensbeschreibung (mit Portrait) findet sich auf den Seiten 268/269 in "Rieser Biographien", herausgegeben 1993 im Verlag des Vereins Rieser Kulturtage (Nördlingen) von Albert Schlagbauer und Wulf Dietrich Kavasch.

 

(02)     Teil 1 des "Biographischen Handbuchs der Rabbiner" befasst sich mit den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781-1871, Teil 2 befasst sich mit den Rabbinern im Deutschen Reich 1871-1945.

 

(03)     Mario Jacoby lebte mit Gattin und Sohn von 1986 bis 1994 als Fotograf in Oettingen und befasste sich zunächst mit der Inventarisierung von jüdischen Friedhöfen in Mittelfranken und zuletzt dann noch mit der kompletten photographischen Erfassung der Grabinschriften des jüdischen Friedhofs in Harburg. Hierzu existiert eine mit Rolf Hofmann zusammen erarbeitete Kurzdokumentation in gedruckter Form. Mario Jacoby lebt seit 1994 mit Gattin und Sohn in Israel.

 

(04)     Max Wollsteiner schreibt in "Jüdische Familienforschung"  (Jahrgang 1, Nr 4, Dezember 1925) auf Seite 75, dass am 15. August 1587 der damalige König von Polen (Stephan Barthory) gestorben sei. Als daraufhin die polnischen Edelleute zur Neuwahl nach Warschau kamen, konnte man sich zunächst auf einen Nachfolger nicht einigen und wählte daraufhin für eine Nacht (da Polen nicht ohne König sein durfte) Saul Wahl als König, dies aufgrund seiner Rechtschaffenheit. Am nächsten Tag wurde Sigismund III  zum König von Polen gewählt.

 

(05)     Per Schreiben vom 1. Februar 1730 an Graf Anton Carl aus der Linie Oettingen-Wallerstein beklagte sich Abraham Mahler, dass nicht nur die Wallersteiner Juden, sondern auch die Oberdorfer Juden ihn nicht mehr zum Rabbiner haben wollten, obwohl er sich nichts zu Schulden kommen lassen habe. Diese Zurückweisung traf ihn besonders hart zu einer Zeit, da er ohnehin Sorgen wegen der Gesundheit seiner Gattin hatte (Quelle = FÖWAH III.18.9c-1 = Fürstlich Oettingen-Wallerstein'sches Archiv Harburg).

 

(06)     Die Barnossen (Vorsteher) der jüdischen Gemeinden in Harburg und Mönchsdeggingen wandten sich per Schreiben vom 23. September 1750 an Graf Philipp Carl in Hohenaltheim (ländliche Residenz der Wallersteiner Grafen) und versuchten nochmals mit aller Dringlichkeit ihrem hochverehrten Rabbiner Mahler unterstellt zu werden, mit dem man ja bereits jahrzehntelang beste Erfahrung gemacht habe. Das Schreiben schloss mit der devoten Formulierung "Euer Hochgräfliche Excellenz pp werden uns in unserem unterthänigsten Gesuch in höchsten Gnaden zu willfahren geruhen, wofür der ersagte Rabbiner (also Mahler) mit seinen vielen Kindern sowohl, als auch wir beede Endes bemelte Judenschaften, den Allerhöchsten um Euer Hochgräfliche Excellenz pp vergnügtest langes Leben und beglückteste Regierung alltäglich eyfrigst anrufen werden". Genützt hat diese Untertänigkeit den beiden Gemeinden jedoch nichts. (Quelle = FÖWAH II.6.3-1)

 

(07)     Ezechiel Isak Wertheimer steht mit Gattin und Kindern in "Die Geschichte der Juden in Jebenhausen und Göppingen" von Aron Tänzer auf Seite 384. Eine ausführlichere biographische Betrachtung findet sich auf Seite 157. Das Original dieser bemerkenswerten familiengeschichtlichen Ausarbeitung erschien 1927 im Kohlhammer Verlag, eine Neuauflage erschien dann 1988 im Anton H Konrad Verlag in Weissenhorn. Auch Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach erwähnt Wertheimer (hier mit seinem ursprünglichen Namen "Jechiel Lemberger") auf Seite 580 unter Nummer 1053.

 

(08)     Der Wallersteiner Graf Philipp Carl verwendet sich per 15. Oktober 1750 wie folgt für den Pferseer Kandidaten: "… Da Wir übrigens gerne und gnädigst ansehnten, wann Sie die Judenschaft den Uns Geschicklichkeit und guten Wandels willen wohl recommendirten, bey Löw Uhlmann zu Pförschen (= Pfersee) etliche Jahre bisshero gestandenen Instructorem hierzu erkiesste" (Quelle = FÖWAH III.18.9c-1).

 

(09)     Per Schreiben vom 17. August 1764 empfahl Carol Baron von Frankenstein der gräflichen Herrschaft in Wallerstein die Annahme von "Isaac Kuhn" als Nachfolger von dessen verstorbenem Vater (nämlich Zwi Kahana Rappaport) als Landrabbiner für den Wallersteiner Herrschaftsbereich. Er erwähnte, dass nicht nur die Barnossen (Vorsteher) sämtlicher jüdischer Gemeinden in den "hochgräflich Oettingen-Oettingischen und Oettingen-Wallerstein'schen Landen" diesen Rabbiner einstimmig gewählt hätten, sondern auch das Oberamt dieser Wahl zustimme. (Quelle = FÖWAH II.6.3-1) Anmerkung: Die Herrschaftslinie Oettingen-Oettingen war zwar 1731 ausgestorben, das dem Haus Oettingen-Wallerstein zugefallene Erbteil wurde jedoch in der Verwaltung unverändert mit der alten Bezeichnung weitergeführt.

 

(10)     Eine ausführliche Würdigung der Persönlichkeit von Isaak Kahana Rappaport (Schreibweisen in alter Zeit waren in der Regel phonetisch und variierten von Schreiber zu Schreiber) findet sich auf Seite 209 in "Der alte jüdische Friedhof in Bonn-Schwarzrheindorf" von Michael Brocke und Dan Bondy, erschienen 1998 im Rheinland Verlag in Köln. Dargestellt wird hier die hebräische Grabinschrift und deren deutsche Übersetzung, ergänzt durch ein Foto der Grabinschrift.

 

(11)     Benjamin Cohen (Isaak Kahana Rapapports Bruder) findet in der vorerwähnten Dokumentation der Grabinschriften des jüdischen Friedhofs Schwarzrheindorf (siehe Anmerkung 10) ebenfalls eine sehr ausführliche Würdigung mit hebräischem Text, deutscher Übersetzung und Foto.

 

(12)     Zu Abraham Mayer siehe Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach, Seite 648, Nummer 1215. Der Sohn Mayer Jacob Mayer steht auf Seite 650 unter Nummer 1218.

 

(13)     Der Bouvier Verlag (Herbert Grundmann) in Bonn hat 1978 eine Dokumentation mit 342 Seiten zum 150 jährigen Jubiläum des Unternehmens herausgegeben, der wesentliche familiengeschichtliche Aspekte und Portraitfotos enthält.  Ausführlich ist auch die chronologische Auflistung der Verlagspublikationen.

 

(14)     Per 13. Mai 1791 berichtet das Ober- und Kastenamt Harburg der herrschaftlichen Verwaltung in Wallerstein, dass Hirsch Benjamin Kuhn (ein Sohn des gewesenen Landrabbiners in Wallerstein) seit 1786 in Harburg im herrschaftlichen Schutz gewesen sei. Aus Mangel an gewerblichen Kenntnissen habe er seither nebst Weib und drei Kindern auf Kosten seines Schwiegervaters Israel Guggenheimer gelebt. Dies in der Hoffnung, dass er aufgrund seiner jüdischen Gelehrsamkeit eine auswärtige Unterkunft erhalten möge. Dieser Fall sei nun endlich eingetreten, indem Hirsch Benjamin Kuhn zum Landrabbiner nach Stadtbergen im Churköllnischen berufen worden sei. Andererseits wolle er jedoch im Harburger Schutz verbleiben. (Quelle = FÖWAH III.18.3a-2) Vermutlich war er sich nicht sicher, ob er seine Rabbinerstelle auch langfristig behalten könne. Im Endeffekt landete Hirsch Benjamin Kuhn dann nicht in Stadtbergen, sondern in Geseke.

 

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass sich Hirsch Benjamin Kuhn bereits 1789 um die vakante Rabbinerstelle in der Hochfürstlich Schwarzenberg'schen Stadt Marktbreit beworben hatte. Sein Konkurrent Moyses aus Ansbach hatte zwar mehr Stimmen als Hirsch Benjamin Kuhn erhalten, es zeigte sich jedoch wenige Monate später, dass dessen Wahl nicht mit ganz rechten Dingen zugegangen war, sodass Hirsch Benjamin Kuhn hier doch noch Hoffnung schöpfte, dort im Nachhinein zum Rabbiner ernannt zu werden. Hierzu erbat er sich die Unterstützung durch den Wallersteiner Fürsten Kraft Ernst, die ihm dieser dann auch (erstaunlicherweise) gnädig gewährte. Vermutlich half der gute Ruf des rabbinischen Vaters. Allerdings war die fürstliche Empfehlung offensichtlich ohne Erfolg. (Quelle = FÖWAH III.18.8b-1)

 

(15)     Im Internet findet sich erstaunlich viel zu Else Lasker-Schüler; erwähnt sei zum Beispiel eine Kurzbiographie im "Jewish Heritage Online Magazine" (www.jhom.com/personalities/else_schuler/index.htm),

dann ein durchaus bemerkenswerter Projektbericht des Lessing-Gymnasiums Döbeln (www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/liter/elselaskerschueler/index.html), des Weiteren auch ein Eintrag ausgerechnet im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon (www.bautz.de/bbkl/l/Lasker.shtml) mit ausführlicher Nennung von Else Lasker-Schülers literarischem Schaffen. Erwähnenswert ist nicht zuletzt dann auch noch ein kenntnisreicher Artikel von Dr Bernhard Brilling in der "Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland" (auf Seite 7 der Ausgabe vom 18. Juni 1965).

 

(16)     In dem Buch "Jüdisches Leben in München" (herausgegeben von der Landeshauptstadt München und gedruckt 1995 im Buchendorfer Verlag) steht auf den Seiten 109-127 eine sehr ausführliche Beschreibung der Aktivitäten der Familie Cohen, verfasst von Robert Brunner unter dem Titel "Sachor oder Heinrich Cohen, Löwengrube 23". Auf den Seiten 114/115 befindet sich auch eine Ahnentafel des Münchner Zweigs der Familie.

 

(17)     Zur "Arisierung" steht kritisch Ausführliches im vorerwähnten Buch" Jüdisches Leben in München" auf den Seiten 122-126. Auch Wolfram Selig geht in seiner Publikation "Arisierung in München" (erschienen 2004 im Metropol Verlag, Berlin) auf den Seiten 203-207 mit großer Detailkenntnis auf die Rolle von Loden-Frey bei der Übernahme der Firma Heinrich Cohen ein.

 

(18)     Empfohlen wurde Ascher Löw in Wallerstein 1789 durch seinen Schwiegervater, den Hoffaktor und Judenrabbiner Samuel Wolf in Niederwerrn, der einst in Wallerstein geboren wurde. Regent in Wallerstein war damals Fürst Kraft Ernst. (Quelle = FÖWAH III.18.9c-1)

 

(19)     1797 gab es Ärger, weil Ascher Löw verheiratete Frauen in seiner Wohnung unterrichtete, weiter hatte Ascher Löw die "Kirchenceremonien" insofern geändert, als er den traditionell dreimal jährlich pro Stand in der Synagoge zu gebenden Segen nur noch pauschal und allgemein geben wollte. Fürst Kraft Ernst wies ihn zurecht und mahnte ordentliches und friedliches Betragen an. (Quelle = FÖWAH III.18.9c-1)

 

(20)     Das im Königreich Bayern 1813 verabschiedete "Judenedikt" beabsichtigte die Verbesserung der jüdischen Lebensverhältnisse. Man war bemüht, die Juden vom traditionellen Schacherhandel wegzubekommen und ermöglichte ihnen deshalb von da ab eine Ausbildung praktisch in allen Berufen. Andererseits beschränkte der Matrikelparagraph bis 1861 die Anzahl jüdischer Familien pro Ort, was junge und dynamische Juden zur Abwanderung und insbesondere auch zur Emigration nach Nordamerika veranlasste. Eine weitere einschneidende Veränderung war die Gleichstellung der jüdischen Religionsverhältnisse mit den christlichen Kirchen, was letzten Endes die Beschränkung der traditionellen religiösen Autonomie bedeutete. Insbesondere die Ausbildung der Rabbiner, Vorsänger und Lehrer hatte von da ab ergänzend auch an speziellen Seminaren bzw den Universitäten zu erfolgen. Die Aufnahme einer Berufstätigkeit war dann abhängig vom Bestehen staatlicher Prüfungen.

 

(21)     Tia Weil stammte aus einer bedeutenden alten Rabbinerfamilie, schon der Vater Nathanel Weil war 1750-1769 Oberrabbiner in Karlsruhe gewesen. Er folgte in diesem Amt seinem Vater und blieb auch in dieser Position bis zu seinem Tod im Jahr 1805. Näheres hierzu steht bei Salomon Wininger in seiner "Grossen Jüdischen Nationalbiographie" von 1932.

 

(22)     Ascher Löw wurde in Karlsruhe auf dem jüdischen Friedhof Kriegsstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen Rabbinergräbern bestattet (Gräber 145-150). Sein Grab hat die Nummer 147. Der Grabstein ist gut erhalten, ebenso auch gut lesbar die Inschrift. Dieser Friedhof wurde vom Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland (mit Sitz Bienenstraße 5 in Heidelberg) dokumentiert.

 

(23)     Abraham Ascher war mit Gertraud Herzthal verheiratet, Tochter des Mannheimer Klausrabbiners Salomon Herzthal. Dieser Zweig der Nachkommen von Ascher Löw behielt den Familiennamen "Ascher", während ein anderer Zweig den Familiennamen "Wallerstein" annahm.

 

(24)     Zu Salomon Wassermann steht wiederum Näheres im Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach auf den Seiten 880 und 881 unter Nummer 1832. Dessen Sohn Dr Moses von Wassermann steht auf den Seiten 879 und 880 unter Nummer 1831.

 

(25)     Baruch Löw Steppachers Vorfahren dürften wohl einst in Steppach bei Augsburg gelebt haben. Sein Vater Salomon Joseph (vor 1740 ansässig in Kleinerdlingen) nannte sich bereits vor der offiziellen Annahme bürgerlicher Familiennamen (1813) "Steppach". Baruch Löw Steppachers Tochter Bela heiratete den aus Ederheim stammenden Talmudlehrer Emanuel Ettenheimer, die Tochter Kehla heiratete den Wassertrüdinger Rabbiner Joseph Löb Samuel Buttenwieser (geboren in Buttenwiesen).

 

(26)     Elkan Selz steht in Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach auf den Seiten 809 und 810 unter Nummer 1656. Sein Bruder Hayum Selz (Rabbiner in Uehlfeld seit 1830) steht nachfolgend auf Seite 810 unter Nummer 1657.

 

(37)     Der Serologe August Wassermann (1866-1925) war Sohn des Bankiers Angelo Wassermann (AE Wassermann Bank in Bamberg). Der Bankier Oscar Wassermann (1869-1934) war Sohn des Bankiers Emil Wassermann (Bruder von Angelo). Er war Sprecher der Deutschen Bank bis 1933. Der Ursprung dieser Wassermann Familie ist beim Salzfactor Elkan Wassermann in Harburg zu suchen, dessen Vater David Elkan (auch "Regensburger" genannt) wiederum aus Regensburg stammte.

 

(28)     David Weißkopf wird ausführlich in Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach erwähnt auf  den Seiten 892 und 893 unter Nummer 1853. Sein Sohn Moses Weißkopf (der als Rabbiner 1936 hundertjährig in Paris verstarb) steht nachfolgend auf Seite 893 unter Nummer 1854. Lesenswert ist auch der von Seligmann David Weißkopf sehr persönlich verfasste Nachruf auf seinen Vater David Weißkopf in "Der Israelit" Nr 12/1882 auf den Seiten 283-286.

 

(29)     Abraham Weiler war um 1900 nicht nur Cantor der jüdischen Gemeinde, sondern auch Schützenmeister der Nördlinger Schützengesellschaft, die seinerzeit ihr 500 jähriges Jubiläum feierte. Das Protektorat hatte Seine Königliche Hohheit Prinz Ludwig von Bayern, der voll lobenden Erstaunens darüber war, dass der jüdische Cantor sich auch als Schützenmeister ausgezeichnet hatte. Auf Abraham Weilers Grab findet sich jedoch im Relief kein Gewehr, sondern eine zerbrochene Lyra, poetischer Hinweis auf das "zerbrochene" Leben eines auch in musikalischer Hinsicht bemerkenswerten Oberhaupts der jüdischen Gemeinde in Nördlingen.

 

(30)     David Weißkopfs Urgroßvater Moses Jonas war um 1741 nicht gerade freiwillig von Kleinerdlingen fortgegangen. Die Herrschaft hatte ihn damals im Zusammenhang mit einem Diebstahl des Landes verwiesen. Um 1748 ließ er sich dann in Gunzenhausen als Pferdehändler nieder. Auch die nächsten beiden Generationen waren dort als Viehhändler tätig. Erst David Weißkopf zog es wieder ins Land seiner Vorfahren.

 

(31       Das Handbuch "Rieser Biographien" von Albert Schlagbauer und Wulf-Dietrich Kavasch würdigt Pinchas Kohn auf den Seiten 209 und 210.

 

(32)     Näheres zu Löb Wissmann in Teil 1 "Biographisches Handbuch der Rabbiner" von Michael Brocke und Julius Carlebach auf Seite 907 unter Nummer 1886.

 

(33)     Dieses Zeugnis inzwischen größtenteils verloren gegangener Grabinschriften ist heute unter anderem auch Bestandteil der Israelitischen Standesregister im Staatsarchiv Augsburg (Band 39 und 40). Die Umsetzung der personenbezogenen hebräischen Daten in eine englischsprachige Version wurde von Rolf Hofmann veranlasst und finanziert. Die Gräberliste des Wallersteiner Judenfriedhofs ist inzwischen Teil der Internetpräsentation www.alemannia-judaica.de/harburgproject.htm

 

(34)     Max Koppel (1840-1905) war der Sohn eines Kleinerdlinger Glasermeisters und etablierte sich als Steinmetz in Nördlingen, wo er dann zusammen mit seinen Söhnen David Koppel (1873-1934) und Emil Koppel (1872-1941) eine Marmorschleiferei mit Anschluss sowohl an das bayerische als auch württembergische Eisenbahnnetz betrieb. Dies war letzten Endes die Voraussetzung dafür , dass er selbst weit entfernte jüdische Friedhöfe mit Grabmälern beliefern konnte. Um 1900 war "Max Koppel & Söhne" mit 60 Arbeitern einer der größten Gewerbebetriebe in Nördlingen. Selbst Seine Königliche Hohheit Prinz Ludwig war fasziniert von der regen Betriebsamkeit in den Marmorwerken von "M Koppel & Söhne" anlässlich seines Besuchs der Nördlinger Gewerbeausstellung von 1900. Die Arbeitsatmosphäre dort erinnerte ihn an die Tradition italienischer Marmorbearbeitung, wie er sie selbst anlässlich eines Besuch in Carrara hatte erleben können.