Drei Artikel zur jüdischen Geschichte und Kultur in der „Südwestpresse – Ausgabe Ulm“ von Anfang September 2005-09-17

 

1.   2.9.2005:  Ausstellung zu Julius Baum - Artikel von Petra Kollros

2.   3.9.2005: „Wie ein israelitisches Grabmal in die größte Ulmer Kirche kam“. Artikel von Christoph Mayer

3.   5.9.2005: „Und ist die Frikadelle noch so koscher“. Artikel von Christoph Mayer

 

 

 

Artikel vom 02.09.2005 aus SÜDWEST AKTIV (SÜDWEST PRESSE - Ausgabe Ulm)


AUSSTELLUNG:

Angefeindet als ein Verfechter der Moderne.  Verdienste, Schicksal und Persönlichkeit des vielseitig kompetenten Gründungsdirektors Julius Baum

An den Gründungsdirektor Julius Baum, der vor 80 Jahren sogleich auch die Moderne ins Haus geholt hatte, dafür bekämpft und dann von den Nationalsozialisten 1933 abgesetzt wurde, erinnert das Ulmer Museum mit einer Ausstellung, die heute abend eröffnet wird.

PETRA KOLLROS

80 Jahre Ulmer Museum - ein Geburtstag, der nicht unbedingt als Jubiläum ausgerufen werden müsste, was das Museum jedoch richtig groß macht: mit einem Festakt plus Feier am 13. September und einer Ausstellung, die auf die Zeit des Gründungsdirektors Julius Baum zurückblendet. 80 sei eine schöne Zahl als Alter auch für eine Institution, findet Museumsdirektorin Dr. Brigitte Reinhardt. Dass aus der ursprünglich angedachten kleinen Hommage an Julius Baum nun ein ausgewachsenes Zeit- und Persönlichkeitsporträt geworden ist, liegt am Ertrag der Forschungen. Kuratorin Myrah Adams fand insbesondere bei den Enkeln Baums dokumentarisches Material in einer Fülle, mit der gar nicht gerechnet worden war.

Myrah Adams ist seit der von ihr 1993 mit opulentem Katalogwerk verwirklichten Ausstellung "Kunst und Kultur in Ulm 1933-1945" eine gefragte Fachfrau in der Vermittlung der Thematik nationalsozialistische und jüdische Kulturgeschichte. In Ulm richtete sie die Dauerausstellung des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg ein, soeben in Creglingen ein kleines jüdisches Museum. Ihre Ausstellung über Julius Baum ist mit bebilderten Textfahnen in symbolhaften Farben, Baum-Porträts - prägnant der Holzschnitt Gottfried Grafs, der den 50-Jährigen aus der Ulmer Zeit zeigt - und einigen Kunstwerken, die von seinen Ankäufen noch im Hause sind, optisch ansprechend gemacht. Daneben ist durch die Vielzahl von Dokumenten, Schriften, Korrespondenzen, Zeitungsausschnitten das Leseangebot in den Vitrinen so horrend und kleinteilig, dass der nicht speziell interessierte Normalbesucher in die Lektüre kaum einsteigen wird.

Privates aus Wiesbaden

Brigitte Reinhardt sprach beim Pressetermin vom Exemplarischen sowohl dieser Ära in der Weimarer Republik, in die etliche deutsche Museumsgründungen fallen, als auch des Schicksals von Julius Baum, der als progressiver Museumsmann und Jude doppelten Anfeindungen ausgesetzt war. Dies Exemplarische erschließt sich jedoch nicht; die Ausstellung bleibt eng dran an Baum, wird sogar ganz privat in der Abteilung über die Wiesbadener Textilunternehmer-Familie, aus der er stammte.

Julius Baum, Jahrgang 1882, war ein Kunsthistoriker mit ungewöhnlicher Bandbreite in der Kompetenz und den Interessen. Er war durch eine noch heute in Vielem gültige Publikation ein ausgewiesener Experte für die mittelalterliche Ulmer Skulptur, als ihn (er wirkte in Stuttgart) der Ulmer Gemeinderat 1923 zum Leiter des städtischen Museums wählte, das aus dem bisherigen Gewerbemuseum entstehen sollte. Und er hatte Kunstverstand und Kontakte für den Aufbau einer Galerie der Moderne. Das Spektrum und den Anspruch markieren zwei Ankäufe Baums im Jahr der Neueröffnung des "Museums der Stadt Ulm", die am 4. Oktober 1925 war: Er erwarb die "Bihlafinger Muttergottes" aus dem Spätwerk Hans Multschers sowie das Gemälde "Die Trunkene" von Karl Hofer. Klee, Jawlensky, Kokoschka, Nolde, Grosz, Geyer - Bilder und Blätter solcher Repräsentanten der Moderne, die Julius Baum in die Ulmer Sammlung holte, werden in der Ausstellung als "virtuelles Museum" eingeblendet, denn sie sind aus bekannten Gründen nicht mehr da.

Als die Nationalsozialisten 1937 als "entartet" gebrandmarkte Kunst auch im Ulmer Museum beschlagnahmten, lebte Baum längst in Stuttgart. Weil er Jude war (von der Konfession her freilich protestantisch) und weil konservative Ulmer, die seine Museumspolitik seit Jahren bekämpften, auf eine solche Vertreibung nur gewartet hatten, war er 1933 unmittelbar nach der Machtergreifung abgesetzt worden. Wie die Hetze gegen ihn noch weiterging, etwa im Naziblatt "Flammenzeichen", dokumentieren Zeitungsartikel. Baum lebte - gesundheitlich seit einer KZ-Haft Ende 1938 angegriffen - bis 1946 im Schweizer Exil, wurde 1947 Direktor an den Landeskunstsammlungen Stuttgart, später Landesmuseum. Er starb 1959. Den Ulmer Repräsentanten der Nachkriegszeit lastete er die erlittene Ausgrenzung und Vertreibung nicht an, sprach sogar, wie Brigitte Reinhardt weiß, 1947 bei der Wiedereröffnung des Museums in Ulm.

Die Ausstellung soll 2006 in Wiesbaden gezeigt werden, integriert in eine weiter gefasste Darstellung der jüdischen Industriellenfamilie Baum. Dann soll, mit vereinten Kräften finanziert, auch eine Publikation erscheinen.

 
Die Ausstellung Julius Baum wird am Freitag, 2. September, 19 Uhr, mit Reden von Brigitte Reinhardt und Myrah Adams eröffnet. Sie läuft bis 4. Oktober: Di-So 11-17, So bis 20 Uhr.

 

 

 

 

Artikel vom 03.09.2005 aus SÜDWEST AKTIV


JUDENTUM / Wie ein israelitisches Grabmal in die größte Ulmer Kirche kam

Ein Stein des Anstoßes im Münster - Installation erinnert an die Pogrome im Mittelalter - "Wurzel der Schuldgeschichte"

Antisemitismus hat auch in Ulm Tradition. So wurden im Mittelalter jüdische Grabsteine "geschändet" und im Münster zweckentfremdet verwendet. Eines dieser Grabmäler wird jetzt unter dem Israelfenster des Münsters dauerhaft ausgestellt: als "Stein des Anstoßes".

CHRISTOPH MAYER

Jahrhunderte lang war der Gedenkstein in der Südmauer des Ulmer Münsters eingebettet. "Im Jahr 1377 auf Geheiß des Rates hier zu Ulm war Heinrich Füßinger der erste Pfleger des Baues der Pfarrkirche", ist darauf zu lesen. Doch die Erinnerung an den aus einer angesehenen Bürgerfamilie stammenden Münsterpfleger ist nur die halbe Wahrheit. Denn in die Rückseite des Steins ist eine ältere, hebräische Inschrift gemeißelt - aus dem Jahr 1288: "Diesen Stein errichte ich zu Häupten der Frau Mina, Tochter des Herrn Jzack Halevi. Sie verstarb am Freitag, den 27. im Elul 48 im sechsten Jahrtausend. Sei ihre Ruhe im Garten Eden. Amen."

Zwar wurde der Stein vor 130 Jahren bei Restaurierungsarbeiten entdeckt und aus der Wand herausgelöst. Doch bis vor kurzem stand er vergessen und nur von der Vorderseite her zugänglich im Münster.

Dass er nun einen zentralen und vor allem von beiden Seiten zugänglichen Platz im Eingangsbereich der Kirche unter dem Israelfenster erhält, ist dem Ulmer Historiker Christof Maihoefer und dem Tübinger Judaisten Dr. Gil Hüttenmeister zu verdanken. Seit Jahren haben sie sich mit der Geschichte des Grabsteins beschäftigt und sich für einen exponierten Standort im Kirchenschiff engagiert. Anlässlich des Europäischen Tags der jüdischen Kultur" morgen, Sonntag, soll er nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden, "als Gedenk- und Impulsstein für uns und unsere Zeit", wie Maihoefer es ausdrückt.

Ganz bewusst seien im Mittelalter jüdische Grabsteine "geschändet" und dann in christliche Kirchen eingebaut oder als Gedenktafeln zweckentfremdet worden, sagt Hüttenmeister. "Dies sollte den Sieg der Kirche über die Synagoge symbolisieren." Das 14. Jahrhundert sei eine Zeit starker wirtschaftlicher Umbrüche und großer Ängste gewesen, fügt Maihoefer hinzu. Im Zuge der so genannten Pest-Pogrome wurden so auch im Raum Ulm die meisten Judengemeinden ausgelöscht. "Es gibt Dokumente, die belegen, dass diese Aktionen gar nicht so willkürlich waren, sondern von langer Hand geplant wurden."

Insofern sieht der Ulmer Historiker den Grabstein nicht nur als Zeugen des antijüdischen Denkens der damaligen Zeit, sondern auch als "Wurzel der Schuldgeschichte" - die schließlich im 20. Jahrhundert im Holocaust gipfelte. "Der installierte Grabstein soll also auch ein Stein des Anstoßes sein", sagt Maihoefer. Zumal antijüdisches Denken auch heute noch in vielen Köpfen verankert sei.

Die Eintrittsgelder seiner Münsterführung am Sonntag will Maihoefer der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Ulm spenden - für den Bau einer neuen Synagoge. "So wird der Gedenkstein auch zum Grundstein."

INFO

Anlässlich des Tags der jüdischen Kultur am Sonntag wird der Grabstein vorgestellt. Treffpunkt: um 16.15 Uhr an der Münsterwestpforte. Um 11.30 Uhr beginnt am Weinhof eine Führung zur Geschichte der Ulmer Juden; von 11 bis 16 Uhr sind die Räume der Israelitischen Religionsgemeinschaft in der Neutorstraße zu besichtigen.

 

 

 

 

Artikel vom 05.09.2005 aus SÜDWEST AKTIV (SÜDWEST PRESSE - Ausgabe Ulm)

JUDENTUM / Und ist die Frikadelle noch so koscher  -  Von der Sünde, einen Cheeseburger zu essen

Wie lebten und wie leben Juden in Ulm? Und was dürfen sie - sofern sie streng gläubig sind - essen? Einen Hamburger? Ja. Einen Cheeseburger? Nein. Warum das so ist, konnte man gestern erfahren: beim "Europäischen Tag der jüdischen Kultur", der auf großes Interesse stieß.

CHRISTOPH MAYER

Kann denn Cheeseburger Sünde sein? Für gläubige Juden ja - selbst wenn die Frikadelle noch so koscher ist. Denn Fleisch- und Milchprodukte dürfen weder gemeinsam zubereitet noch gemeinsam in den Mund genommen werden. Warum das so ist? "Weil wir auch auf die Gefühle der Tiere Rücksicht nehmen sollen", erklärt der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik. Denn wenn man totes Tier esse, sollten andere Tiere nicht zugegen sein. Schließlich könne die Milch theoretisch vom Muttertier der Frikadellen-Kuh stammen. Gläubige Juden verwendeten deshalb sogar stets getrenntes Geschirr für Fleisch und Milchprodukte; auf dass sich keine Spurenelemente vermischen.

Muss man es so genau nehmen? Trebnik lächelt vielsagend. Nur eine Minderheit der rund 500 Menschen zählenden jüdischen Gemeinde in Ulm tut das, weiß er. "Aber Religion ist nun einmal schwarz-weiß. Es gibt keine Grautöne."

Die Einführung in die jüdischen Speisegesetze in den Räumen der israelitischen Religionsgemeinschaft war einer von mehreren Programmpunkten beim "Europäischen Tag der jüdischen Kultur", der gestern auch in Ulm begangen wurde und auf reges Publikumsinteresse stieß. Die Gebetsräume in der Neutorstraße konnten ganztägig besichtigt werden, dazu gab es eine vom Ulmer Historiker Christoph Maihoefer veranstaltete Stadtführung zur Geschichte der Juden in Ulm vom Mittelalter bis zur Gegenwart; auch der kürzlich wiederentdeckte jüdische Grabstein im Ulmer Münster (wir berichteten) wurde erstmals öffentlich vorgestellt.

"Man weiß so wenig über das aktuelle und vergangene Leben der Juden hier", begründete etwa die Ulmer Sozialarbeiterin Claudia Steinhauer ihre Motivation, an der historischen Stadtführung teilzunehmen. Dass der 1933 von den Nazis aus dem Amt gejagte jüdische Museumsdirektor Julius Baum auch nach 1945 keine Chance bekam, wieder im Ulmer Museum zu arbeiten, habe sie nicht gewusst.

Günter Thumerer hingegen fand interessant, dass mit Legenden aufgeräumt wurde, beispielsweise dem Klischee vom geschäftstüchtigen Juden. Auch Christen hätten im Mittelalter Geld verliehen, Juden dagegen viel häufiger im Handwerk gearbeitet, hat der Geschichtslehrer aus Blaustein in der Stadtführung erfahren. "Das steht nicht in en Geschichtsbüchern."

Das Schwein als Verwandter

Zurück zu den Kochbüchern. Die Speisevorschriften sind streng, mehr als 3000 Jahre alt, entstammen den fünf Büchern Mose und liefern oftmals keine direkten Begründungen. Dennoch sind die für gläubige Juden von von Gott kommenden Vorschriften logisch, sagt Trebnik. Und oft sogar naturwissenschaftlich begründbar. Beispiel Schweinefleisch-Verbot: So habe die moderne Biologie herausgefunden, das Schweine den Menschen genetisch sehr ähnlich seien. "Deshalb ist es womöglich nicht so gesund, sie zu essen."

Anders beim Rindvieh. "Das steht ein bisschen niedriger als der Mensch", sagt Trebnik. Wer es verspeist, tut gewissermaßen ein gutes Werk. Denn er verleibt es sich ein und erhöht das Tier damit posthum.

Deutlich wird an all diesen Vorschriften, dass die jüdische Religion stark ins Alltagsleben eingreife, sagt Trebnik. Weil es eben nicht genüge, nur einmal die Woche in die Synagoge zu gehen. "Das Leben konstruiert sich aus Religion."