Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Gernsheim (Kreis Groß-Gerau) 
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht: 

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule    
Aus dem jüdischen Gemeindeleben   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen     
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)  
   
In Gernsheim bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 15. beziehungsweise 18. Jahrhunderts zurück. Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts waren in der damals dem Erzbischof von Mainz unterstehenden Stadt einige Juden ansässig, von denen der kurmainzische Zollschreiber eine jährliche Steuer von insgesamt 20 Gulden erhob.
  
Nach dem Judenpogrom am Ostermontag, 10. April 1615 wurden die Wormser Juden vertrieben. Einige konnten sich in Gernsheim niederlassen und wurden vermutlich von den hier lebenden jüdischen Familien aufgenommen. Gut drei Wochen nach dem Pogrom starb der bekannte Wormser Rabbiner Samuel Bacharach am 2. Mai 1615 in Gernsheim (vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Abraham_Samuel_Bacharach). Er wurde in Alsbach beigesetzt (Grabstein https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/11041). Im Januar 1616 konnten die Wormser Juden wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren.   
   
Im 18. Jahrhundert werden 1715-18 jüdische Personen in Gernsheim genannt. 
  
Die Zahl der jüdischen Einwohner entwickelte sich im 19. Jahrhundert wie folgt: 1806 51 jüdische Einwohner, 1828 52 (1,8 % von insgesamt 2.893 Einwohnern), 1842 14 Familien, 1871 89 jüdische Einwohner (2,7 % von insgesamt 3.277), 1880 96 (2,8 % von 3.421), 1895 73, 1900 51 (1,2 % von 4.133), 1910 45 (1,1 % von 4.197). Die jüdischen Haushaltsvorstände verdienten ihren Lebensunterhalt als Vieh- und Getreidehändler, Manufakturwaren-, Obst- und Kartoffelhändler, als Grundstücks- beziehungsweise Häusermakler. 
   
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule, ein rituelles Bad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. Ausschreibungen der Stelle unten von 1866 und 1869). In besonderer Erinnerung blieb (als Nachfolger zu einem zunächst genannten Lehrer Mendel) Lehrer Salomon Weil, der 1910 sein 40-jähriges Dienstjubiläum in Gernsheim feiern konnte (siehe Berichte unten). Den Großteil seiner Dienstzeit war er Lehrer in Gernsheim. Nach seinem Tod 1913 kam bis 1919 Lehrer Leo Aach nach Gernsheim (zuvor in Wickrath, später in Bretten tätig). Die Toten der Gemeinde wurden auf den jüdischen Friedhöfen in Groß-Gerau und Alsbach beigesetzt. Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt II. 
  
An den Folgen der erlittenen Verletzungen im Ersten Weltkrieg starb aus der jüdischen Gemeinde Max Weil (geb. 15.4.1885 in Gernsheim, vor 1914 in Leipzig wohnhaft, gest. 22.4.1923).    
 
Um 1924, als noch 32 Personen der jüdischen Gemeinde angehörten (0,8 % von insgesamt etwa 4.400 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Bernhard Spieß und S. Fink. An jüdischen Vereinen gab es zwei Wohltätigkeitsvereine, den Israelitischen Männerverein (1924 unter Leitung von Bernhard Spieß) und den Israelitischen Frauenverein (1924 unter Leitung von Lina Fink). 1932 waren die Gemeindevorsteher Bernhard Spieß (weiterhin 1. Vors.) und Fabrikant Siegmund Nahm (2. Vors.). Religionsunterricht erhielten im Schuljahr 1931/32 noch drei Kinder der Gemeinde (vermutlich durch einen auswärtigen Lehrer).  
   
1933 lebten noch 27 jüdische Personen in Gernsheim (0,5 % von 5.254 Einwohnern, in acht Familien). In den folgenden Jahren ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen (mindestens vier nach Mainz) beziehungsweise ausgewandert (Frankreich, Holland, sieben nach London [darunter Fabrikant Siegmund Nahm], vier in die USA). Zu abscheulichen Vorkommnissen kam es in Gernsheim im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938 (siehe Bericht unten von Hermann Weil). 1939 wurden noch elf jüdische Einwohner gezählt. Die letzten sieben mussten in einem "Judenhaus" zusammenziehen (Berta Hahn mit den Kindern Hildegard, Kurt und Josef, Karoline Weil geb. Guckenheimer und das Ehepaar Bernhard und Erna Spiess). Sie wurden 1942 deportiert; Hermann Nahm (1891) nahm sich im Mai 1942 vor der bevorstehenden Deportation das Leben. 
                      
Von den in Gernsheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", ergänzt durch Angaben bei Scheindl s.Lit. S. 106): Clara Baum geb. Fink (1894), Berta Hahn geb. Katz (1893), Hildegard Hahn (1921), Josef Hahn (1930), Kurt Hahn (1923), Max Hahn (1890), Norbert Kleffmann (1922), Alfred Manne (1886), Selma Mayer geb. Spieß (1889), Hermann Nahm (1891), Rosa Schiefer geb. Vollmann (oder Dallmann?, 1898), Jakob Simon Schiefer (1875), Richard Schiefer (1930),  Erna Spiess geb. Emsheimer (1863), Bernhard Spiess (1862), Hildegard Wachtel geb. Weil (1897), Karoline Weil geb. Guckenheimer (1855).   
   
   
   
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
 
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule  
Ausschreibungen der Stelle des Lehrers / Vorbeters / Schochet 1866 / 1869

Gernsheim Israelit 29081866.jpg (50302 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1866: "Konkurrenzeröffnung. Die Stelle eines Religionslehrers und Vorsängers bei der israelitischen Gemeinde Gernsheim sowie der Schächterdienst, mit welcher ein jährliches Einkommen von 400 Gulden nebst freier Wohnung verbunden, ist erledigt. Konkurrenzfähige Bewerber haben sich binnen 4 Wochen unter Vorlegung ihrer Legitimationspapiere bei dem unterzeichneten Vorstand anzumelden. Gernsheim am Rhein, den 16. August 1866. H. Vachenheim."
 
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Dezember 1869: "Lehrerstelle vakant
In der israelitischen Gemeinde zu Gernsheim am Rhein, Großherzogtum Hessen, ist die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters bis zum 1. Februar 1870 zu besetzen. 
Fixer Gehalt, Nebenakzidenzien inklusive Schechitah-Gebühren ca. 500 Gulden. 
Wir fordern hiermit qualifizierte Bewerber auf, sich unter Einreichung der Qualifikation und Zeugnisse beim unterzeichneten Vorstande zu melden. 
Gernsheim, den 2. Dezember 1869. F. Spiess."   
Auf diese Ausschreibung bewarb sich erfolgreich Lehrer Salomon Weil, der bis 1913 im Dienst der Gemeinde blieb (s.u.).  

   
25jähriges Dienstjubiläum des Lehrers Salomon Weil (1895) 
Anmerkung: nach Angaben bei Arnsberg s.Lit. S. 250 hatte Salomon Weil seine Ausbildung in dem Lehrerseminar von Dr. Barnass in Pfungstadt erhalten. Der älteste Sohn von Salomon Weil ist in die USA ausgewandert, wo er zuletzt als Schulleiter tätig war und 1960 verstorben ist. 

Gernsheim Israelit 25041895.jpg (80264 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. April 1895: "Gernsheim bei Darmstadt. Die hiesige israelitische Gemeinde feierte dieser Tage das 25-jährige Dienstjubiläum ihres Lehrers, des Herrn S. Weil. Am Morgen begaben sich 2 Gemeindemitglieder im Auftrage des Vorstandes zu genanntem Herrn und überbrachten ihm Glückwünsche und ein ahnsehnliches Geschenk, in einer Brieftasche mit Wertpapieren bestehend. Im Laufe des Tages überreichte der Frauenverein einen prächtigen silbernen Pokal mit passender Inschrift. Während der zurückgelegten 25 Jahre hat sich der Jubilar die volle Liebe und Achtung seiner Gemeinde erworben, wovon der gestrige Tag den besten Beweis lieferte. Möge der bescheidene, pflichttreue Lehrer noch lange seines Amtes walten!"

    
40-jähriges Dienstjubiläum von Lehrer Salomon Weil (1910) 

Gernsheim AZJ 15041910.jpg (12743 Byte)Mitteilung in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 15. April 1910: "Am 1. April beging der Lehrer Herr Salomon Weil in Gernsheim sein 40jähriges Dienstjubiläum." 

  
Übernahme der Lehrerstelle durch Leo Aach aus Wickrath 1913 nach dem Tod des Lehrers Salomon Weil 

Anmerkung: Lehrer Leo Aach ist am 20. Dezember 1889 in Trier geboren. Er war verheiratet mit Irma geb. Blum, die am 13. März 1889 in Hagenbach geboren ist. Leo Aach war seit 1913 Lehrer in Gernsheim und wechselte von hier am 1. Dezember 1919 nach Bretten. Er starb in Bretten am 31.7.1938 im Alter von erst 49 Jahren und wurde auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.      

Gernsheim FrfIsrFambl 19091913.jpg (23694 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 19. September 1913: "Gernsheim. Leo Aach aus Wickrath hat die hiesige Lehrerstelle, die seit einem halben Jahre durch den Tod des Lehrers Salomon Weil verwaist war, übernommen und ist kreisamtlich bestätigt worden." 
Anmerkung: nach Angaben bei Arnsberg s.Lit. S. 250 wird als Nachfolger von Salomon Weil noch ein Lehrer Scherejewski genannt. Zu diesem fanden sich jedoch noch keine Berichte.

Fotos aus der Sammlung von Lehrer Leo Aach  

 Aach Leo Dok 023.jpg (77667 Byte) Bretten Synagoge 270.jpg (90775 Byte) Bretten Synagoge 271.jpg (115063 Byte) 
  Lehrer Leo Aach (1889-1938) mit Frau Irma geb. Blum 
und Sohn Hans Aach (geb. 1920, 
1937 in die USA emigriert) 
   
Innenaufnahmen einer Synagoge und eines kleineren Betraumes aus der Sammlung von Lehrer Leo Aach;
bei der Synagoge kann sich jedoch nicht um die Synagoge in Bretten handeln, wo er ab 1919 tätig war; 
möglicherweise handelt es sich links um die Synagoge in Gernsheim, von der keine weiteren
Innenaufnahmen bekannt sind.   

 
Zur Frage nach dem Gottes- und Schulbesuch der jüdischen Kinder am Schabbat (1877)  

Gernsheim Israelit 21021877.jpg (118689 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Februar 1877: "Gernsheim am Rhein. Wie bekannt, sind durch die neue Schulverordnung in Hessen die israelitischen Schüler der Volksschule verhindert, dem Gottesdienste am Sabbat beizuwohnen. Die hiesige höhere Bürgerschule wird von ca. 12 israelitischen Schülern von hier und Umgegend, die größtenteils das 13. Jahr überschritten haben, besucht. Welch nachteiligen Folgen das Versäumen des Gottesdienstes in einem solchen Falle verursacht, kann sich jedermann denken. Den Bemühungen des Vorstehers der hiesigen Gemeinde, Herrn M. Ketsch, ist es gelungen, dass die israelitischen Schüler der oben genannten Schule dem Gottesdienste am Sabbat vollständig beiwohnen können. Herr Ketsch hatte nämlich den Direktor der Schule ersucht, in die erste Unterrichtsstunde am Sabbat die Religionsstunde zu verlegen, wozu derselbe sich sogleich bereit erklärte; auch die Geistlichkeit beider Konfessionen erklärte bereitwilligst, ihren Unterricht in der bestimmten Stunde zu erteilen. Daraufhin wandte sich Herr Ketsch an die löbliche Kreisschulkommission mit der Bitte um Genehmigung des abgeänderten Stundenplans, worauf ihm vor einigen Tagen folgendes Schreiben von derselben zugeschickt wurde: ‚Auf Ihre Eingabe vom 26. vorigen Monats eröffnen wir Ihnen, dass wir den Stundenplan der höheren Bürgerschule dahin abgeändert haben, dass die Stunde von 8-9 Samstags von jetzt ab bis auf Weiteres für den Religionsunterricht bestimmt ist, sodass es den israelitischen Schülern fürder unbenommen bleibt, während genannter Stunde dem Gottesdienst in der Synagoge anzuwohnen.’ W."

   
   
Aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Der (nichtjüdische) Arzt Dr. Walther verweigert die ärztliche Hilfestellung bei einer jüdischen Familie und verschuldet den Tod zweier Personen (1881)

Gernsheim Israelit 25051881.jpg (200039 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Mai 1881: "Gernsheim, 5. Mai (1881). Man teilt uns folgenden eigentümlichen Vorfall mit. In hiesiger Gemeinde hat sich vorige Woche ein Ereignis zugetragen, das unter der hiesigen Bevölkerung allgemeine Aufregung hervorrief, und wohl eine öffentliche Besprechung verdient. Der seit einem Jahre in hiesiger Gemeinde ansässig praktische Arzt Dr. Walther wurde vorigen Samstag zu einer Wöchnerin, der Ehefrau des Joseph Levi hier, berufen; nachdem die Hebamme, welche die Geburt leitete, die Zuziehung eines Arztes für absolut notwendig erklärt hatte. Herr Dr. Walther weigerte sich, seine ärztliche Hilfe zu leisten; es wurde ihm nicht nur von dem Ehemann, sondern auch von verschiedenen dritten Personen, in der dringendsten Weise vorgestellt, dass Gefahr vorhanden sei, dass zwei Menschenleben auf dem Spiele ständen, dass es nur in seiner Hand liege, diese beiden Menschenleben zu retten; der Ehemann der schwer leidenden Frau bat ihn fußfällig um Erbarmen und Hilfe – alles umsonst – der Arzt blieb unerbittlich; als Grund seiner Weigerung gab es an, er sei von einem Verwandten der Familie dadurch beleidigt worden, dass dieser in einem vorgekommenen Krankheitsfall außer ihm noch einen anderen Arzt, Herrn Dr. Sellheim zu Biblis zugezogen habe. Herr Dr. Walther glaubte sich durch Zuziehung eines Kollegen in jenem Falle beleidigt, obschon diese Zuziehung nach vorheriger Anfrage bei ihm und mit seiner Zustimmung geschehen war. Dies veranlasste den Arzt, seine Hilfe in dem Notfall zu versagen, obschon ihm die vorliegende dringende Gefährdung zweier Menschenleben wiederholt aufs Eindringlichste vorgestellt wurde; es wurde dann ein auswärtiger Arzt telegraphisch berufen; bis derselbe eintraf, war es jedoch zu spät; das Kind starb sofort nach der Geburt, auch die Frau ist am Montagnachmittag ihren leiden erlegen. Nach Auskunft der Hebamme und des später zu Hilfe gerufenen Arztes hätte das Leben der Frau und des Kindes erhalten werden können, wenn Herr Dr. Walther seine Hilfe nicht versagt hätte. Es herrscht in hiesiger Stadt und Umgegend über das Verhalten des betreffenden Arztes allgemeine Entrüstung. Die Beerdigung der Frau, welche fünf unmündige Kinder hinterlässt, fand am letzten Mittwoch unter großer Beteiligung der hiesigen Bevölkerung ohne Unterschied der Konfession statt. Allgemein wird der betreffende Arzt als derjenige bezeichnet, der durch seine unglaubliche Gefühllosigkeit den Tod zweier Menschen verschuldet. Die Entrüstung in allen Kreisen der hiesigen Bevölkerung macht sich in der energischsten Weise gegen den betreffenden Arzt geltend. Die Sache ist der vorgesetzten Behörde zur Anzeige gebracht, denn man hofft, dass die bestehende Gesetzgebung Mittel an die Hand gibt, um ein solches Verhalten nicht ungerügt zu lassen. Ebenso gibt man sich der Erwartung hin, dass das Verhalten des Herrn Dr. Walther auch von Seiten des Vereins der hessischen Ärzte die ihm gebührende Würdigung erfahre."

    
Bericht über die Ereignisse beim Novemberpogrom 1938 

Hermann Weil, ehemaliges jüdisches Gemeindemitglied, der in der Riedstraße 23 gewohnt hatte, berichtete 1965 in einem Brief: "Im Schuhgeschäft Helu hat man an ca. 80 Paar Schuhen mit dem Beil die Schuhspitzen und Absätze abgehackt und die zerlegten Teile auf die Straße geworfen. In einem Bekleidungshaus wurden Kleiden und Mäntel in Hälften gerissen, bevor man sie hinausschleuderte. Mancher von den Zuschauern glaubte sich billig eindecken zu können, musste aber später sein Erworbenes wieder an die Behörde abliefern. In besonderen Fällen wurden die Menschen geschlagen, getreten, entkleidet, in einem Schrank gesperrt, auf dem Lastwagen zur Bruchmühle gebracht, misshandelt und zu Fuß wieder nach Hause gehen lassen. man hat sie wie Vieh zusammengetrieben, am Stadthaus, am Kaffeedamm, und auf Lastwagen abtransportiert."  (Bericht zitiert nach dem Heimatgeschichtlichen Wegweiser s.Lit. S. 156).

   
   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Zum Tod des langjährigen Gemeindevorstehers Josef Levy (1905)  

Gernsheim FrfIsrFambl 27101905.jpg (86532 Byte)Artikel aus dem "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 27. Oktober 1905: "Gernsheim, 16. Oktober (1905). Ein Leichenkondukt, wie er hier schon lange nicht gesehen wurde, zog heute durch unser Städtchen nach dem 2 Stunden entfernten Friedhof. Galt es doch dem viel verdienten und allgemein angesehenen Herrn Josef Levy die letzte Ehre zu erweisen, der eine Reihe von Jahren als erster Vorsteher unserer Gemeinde und sehr angenehmer Baal tefilloh (ehrenamtlicher Vorbeter) an den Jomim nauroium ("ehrfurchtgebietende Tage", zehn Tage zwischen Rosch Haschana / Neujahr und Versöhnungstag / Jom Kippur) fungierte und der durch seinen Gerechtigkeitssinn und seine Wohltätigkeit überall hochgeschätzt war. Auch unser allverehrter Herr Landesrabbiner Dr. Marx - Darmstadt war zur Beerdigung erschienen, er sprach in einigen Worten sein Bedauern aus, aus rituellen Rücksichten von einem Nachrufe Abstand nehmen zu müssen."    

   
   
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen    
   
Anzeige von F. Spieß (1889)         

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Mai 1889: "Zur selbstständigen Führung eines Haushaltes für 2 Herren wird auf kurz nach Pfingsten ein älteres religiöses Mädchen oder Witwe gesucht; nur solche, die mit besten Zeugnissen versehen, wollen sich bei mir melden. 
F. Spieß,
Gernsheim am Rhein."       

   
Anzeige des Manufakturwarengeschäftes E. Ketsch (1898)       

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1898: "Commis-Gesuch
Suche
per alsbald einen in der Manufakturwaren-Branche erfahrenen, jüngeren Commis, mit schöner Handschrift, als Buchhalter und Verkäufer. Selbstgeschriebene Offerten mit Zeugnisabschriften und Photographie, sowie Angabe der Gehaltsansprüche, bei freier Station, erbeten. Samstags und jüdische Feiertage geschlossen. 
E. Ketsch,
Gernsheim am Rhein."       

   
   
   
Zur Geschichte der Synagoge         
    
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die jüdischen Familien zunächst einen Betraum im ersten Stock eines Hauses Ecke Wallstraße/Magdalenenstraße ("die alte Judenschule").

Seit 1832 gab es Bemühungen der jüdischen Gemeinde, eine Synagoge zu bauen. Die Gemeindemitglieder verpflichteten sich zu regelmäßigen freiwilligen Beiträgen in einen Baufonds, was jedoch angesichts der schlechten finanziellen Verhältnisse der jüdischen Familien nicht einfach war: 10 Jahre nach Beginn der Sammlungen war erst ein Drittel der nötigen Bausumme erspart. 1843 konnte mit dem Bau der Synagoge auf einem Grundstück in der Schafstraße begonnen werden. 
  
Die Einweihung der Synagoge war am 11. Januar 1845. Dies geht aus einem Brief von Gustine Bendheim aus Auerbach vom 10. Januar 1845 vor, der erhalten ist (im Besitz der Familie von Uri Rosenan, Yehud in Israel):   
   
Dokument zur Einweihung der Synagoge (1845) 

Gernsheim Dok 110b.jpg (130282 Byte) Gernsheim Dok 110.jpg (184882 Byte) Gernsheim Dok 110a.jpg (141353 Byte)

Brief von Gustine Bendheim in Auerbach an Jakob (Koppel) Hochschild in Biblis: 
"Umschlag:  "An Herrn J Hochschild  Biblis"
Vorderseite: "Auerbach, den 10. Januar 1845. Lieber Jakob! Da ich vernommen habe, daß Du gerne morgen das Einweihungsfest der Synagoge zu Gernsheim beiwohnen mögtest; aber Du im Zweifel bist, ob es Schicklich sey dahin zu gehen. Ich weiß nicht, was Dich davon abhalten soll? Ist es vielleicht die Ursache, weil ich in Trauer bin? und dieses Vergnügen nicht beiwohnen darf? Da bist Du sehr in Irrthum. Indem Du sie noch vergröserst, wenn Du Dich einem so seldenen Vergnügen entziehst. Dies würde mich sehr schmerzen. Ich bitte Dich daher nach Gernsheim zu machen (= gehen), Dich da recht belustigen. dann wird es auch für mich ein Vergnügen seyn. Dieses bitte Dich sehnlichst Deine Dich liebende Gustine Bendheim.
WGU ( = wende gefälligst um!)"
Rückseite: "Indem ich meine geliebte Schwiegereltern hier Herzlich grüße, bitte ich auch Sie innigst, meine bitte mir nicht zu versagen, meinen Lieben Koppel nach Gernsheim zu lassen. Es ist dieses erste Bitte, die ich an Sie richte und hoffe daher um so gewisser um dessen Gewehrung. Ihre Sie liebende Tochter   Gustine Bendheim.   Viele Grüße an meine Schwägerinnen und Schwäger und sonstige Verwanden. D.O."    
Abschrift des Textes von Naftali Rosenan (1976).       

Anmerkung: Gustine Bendheim konnte nicht zur Feier in Gernsheim, da sie sich noch im Trauerjahr befand: ihre Mutter war am 2. März 1844 gestorben.    

Im Synagogengebäude befand sich auch das rituelle Bad. Der Betraum hatte 44 Plätze für Männer, auf der Empore gab es 24 Plätze für die Frauen. Die Frauenempore wurde 1870 ausgebaut. 1888 gab es eine erste Renovierung des Gebäudes; weitere Renovierungen folgten 1895-96 und 1913.   
 
Äußerlich handelte es sich um ein im Straßenbild durchaus repräsentatives Gebäude. Eingangstor und die in Zweiergruppen angeordneten Fenster fielen durch die schön gestalteten Segmentbögen mit einer profilierten Steinumrahmung auf. Im Giebeldreieck war eine halbrunde Öffnung mit einer Rosette.
       
       
Adresse/Standort der Synagoge    Schafstraße 13  
      
      
Fotos
(Quelle: beide sw-Fotos bei Altaras s.Lit. 1988 S. 138)     

Die Synagoge vor 1938   Gernsheim Synagoge 150.jpg (88257 Byte)  Innenaufnahme vgl. die oben gezeigten
Innenaufnahmen einer Synagoge aus der
Sammlung von Lehrer Leo Aach  
         
       
Das Synagogengebäude 1985   Gernsheim Synagoge 160.jpg (74142 Byte)  
      
Aktuelle Fotos werden noch ergänzt; über Zusendungen freut sich der
Webmaster der "Alemannia Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite
  

      
      
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  

Februar 2011: Bei einer Veranstaltung des Vereins "Memor" wird an das Schicksal der jüdischen Gernsheimer erinnert  
Gernsheim PA 022011a.gif (334196 Byte)Artikel im "Ried-Echo" vom 3. Februar 2011: "'Eine Bitterkeit, die niemals verschwindet'. Gedenken - Memor erinnert bei Veranstaltung im Gymnasium an 29 jüdische Gernsheimer..."    
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken   
   
März 2011: Erinnerungsarbeit - ein umstrittenes Thema in der Stadt:  
 die CDU lehnt im Gemeinderat eine vom Verein Memor geplante Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht ab 
Aus einem Artikel in echo-online.de vom 24. März 2011 (Artikel): Zitat aus dem Artikel "Weiter denn je von einer Lösung entfernt...."  (über eine Gemeinderatssitzung, in der es - auch was die Überschrift betrifft - zunächst um andere Thema ging)
"...Lautstarken Streit gab es um die Nutzung des Schöfferhauses, nachdem dem Verein Memor die Nutzung für eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht abgelehnt worden war. SPD, Grüne, FDP und FWG hatten gemeinsam eine umfangreichere Nutzung des mit Millionenaufwand sanierten und hergerichteten 'wohl attraktivsten öffentlichen Gebäudes der Schöfferstadt' erreichen wollen. Die mit absoluter Mehrheit regierende CDU lehnte dies jedoch mit teils fadenscheinigen Argumenten ab. 
Memor war 2006 aus der Forderung der SPD entstanden, sich eingehender mit der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in Gernsheim zu befassen, so lange es noch Zeitzeugen gibt. Ein Ansinnen, das bei der CDU auf keine Gegenliebe stieß. Daraufhin gründeten mehrere SPD-Mitglieder den Verein..."   
 
April/Mai 2018: Weitere "Stolpersteine" werden verlegt  
Artikel im morgen.de vom 27. April 2018: "Weitere Stolpersteine. MEMOR Gernsheimer Verein plant Verlegung von fünf Gedenktäfelchen am 14. Mai
GERNSHEIM
- (bge). An zwei Orten werden am Montag, 14. Mai, ab 13.30 Uhr fünf weitere Stolpersteine gegen das Vergessen verlegt. Das ist das Ergebnis eines vorbereitenden Gespräches unter Leitung von Bürgermeister Peter Burger (CDU) im Stadthaus. Der Verein Memor hatte die Teilnahme an dieser Kunstaktion angeregt. Seither wurden etliche dieser Gedenktäfelchen im Boden eingelassen. Mit der nächsten Verlegung werden geehrt: Leiser Hirschkorn (Jahrgang 1893, Flucht nach England 1939) und Civia Baile Hirschkorn geb. Neumann (1896, Flucht nach England 1939) vor dem Anwesen Magdalenenstraße 39. Am Standort ehemals Ludwigstraße 39/Wallstraße 2/Ecke Magdalenenstraße, jetzt Georg-Schäfer-Platz, wird drei Personen gedacht, die 1937 in die USA flüchteten: Hirsch Levi (1873), Hedwig Levi geb. Fleischhacker (1891) und Kurt Ludolf Levi (1909). Schüler des Gymnasiums Gernsheim spielen Musik."  
Link zum Artikel    

               

  
Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Stadt Gernsheim   
bulletWebsite des Vereins Memor in Gernsheim  
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zu Gernsheim 

Literatur:  

bulletGermania Judaica Bd. III,1 S. 434.
bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 249-251.  
bulletThea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 S. 138. 
bulletdies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 117. 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 156-157.  
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 148-149. 

    
     


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Gernsheim  Hesse.  Founded in the late 18th centurym the community numbered 96 (3 % of the total) in 1880. By 1933 it had dwindled to 27 and four years later its Torah scrolls were moved to Darmstadt. On Kristallnacht (9-10 November 1938), the remaining 19 Jews were beaten, stripped naked, and pelted with stones. A memorial to those who perisked in the Holocaust was erected by the town council in 1985.   
    
     

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020