Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Endingen und Lengnau (Kanton Aargau, Schweiz)
Texte/Berichte zur Geschichte des Rabbinates an den beiden Orten

      
Übersicht:  

bulletZur Geschichte der Rabbinate / beziehungsweise des Rabbinates in Endingen und Lengnau 
    
bulletTexte zur Geschichte des Rabbinates in Endingen und Lengnau  
 -  
Über die Grabinschrift des 1818 verstorbenen Rabbi Abraham Luntenschütz im Friedhof der Gemeinden (Artikel von 1924)  
-    Beitrag über Rabbiner Abraham Isaak Luntenschütz (Awrohom Jizchok Lunteschitz; Artikel von 1927) 
-    Zur Ausschreibung der Rabbinatsstelle in Endingen (1852)  
-    Eingabe der israelitischen Vorsteherschaft Endingen an den Regierungsrat (1853)   
-    Ausschreibung des Rabbinats in Endingen (1853)  
-    Das Bezirksrabbinat Merchingen wird mit Dr. Julius Fürst, bisher in Endingen besetzt (1858)   
-    1854 bis 1859 war Rabbiner Dr. Julius Fürst Rabbiner in Endingen, vgl. Bericht zum Tod von Rabbiner Dr. Julius Fürst (1899)
-    In Endingen ist das Rabbinat vakant (1859)     
-    Zum Tod des Lengnauer Rabbiners Wolf Dreifuß (1860)  
-    Die Gemeinden Endingen und Lengnau bilden ein gemeinsames Rabbinat (1860)  
-    Ausschreibungen der Rabbinatsstelle Endingen - Lengnau (1860)     
-    Vier Rabbiner werden von der Regierung vorgelegt (1860)   
-    Zur Situation um die Besetzung des Rabbinates (1861)  
-    Streit um die Berufung von Rabbiner Dr. Wassermann aus Mühringen (1861)   
-    Spannungen zwischen Orthodoxen und Liberalen im Blick auf die Rabbinerwahl - von der Regierung wird Rabbiner Dr. Wassermann berufen (1861)       
-    Wahl von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1862)   
-    Amtseinführung von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1862)     
-    Zum Abschied von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1870) 
-    Artikel von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling über "Die freien Schweizer" (1889)    
-    Zum Tod von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1905 in Budapest)   

    
    
Zur Geschichte der Rabbinate / beziehungsweise des Rabbinates in Endingen und Lengnau   
    
Bis um 1730/40 hatten die jüdischen Gemeinden in Endingen und Lengnau noch keinen eigenen, fest an einem dieser Orte tätigen Rabbiner. Gemeinsam mit den nördlich des Rheins liegenden jüdischen Gemeinden in Stühlingen und Tiengen unterstand man vielmehr einem gemeinsamen Rabbiner, der in einem dieser Orte seinen Sitz hatte. Als erster wird ein Rabbiner Matitjahu (Sohn des Rabbiners Adonijah Israel, Enkel des großen Gelehrten (Gaon) Rabbiner Isaak Heppenheim) genannt, der Rabbiner und Rechtsprecher (More zedek) "im Lande Schweiz" war. Er hatte seinen Sitz in Tiengen und Stühlingen und für auch für die "angeschlossenen Gemeinden" zuständig, womit vor allem auch Endingen und Lengnau gemeint war. Rabbiner Matitjahu verstarb 1639 oder 1653/54

1699
wird ein "Rabbi Löb von Endingen" genannt, der in diesem Jahr gemeinsam mit Rabbiner Götsch von Hechingen und Haigerloch nach Donaueschingen zur Ausarbeitung eines Reglements berufen wurde; er war vermutlich identisch mit Rabbiner Arje Jehuda Löb Theomim (genannt Lob Schnapper), der Rabbiner in Breisach und später Rabbinatsassessor in Frankfurt war. Ob Rabbi Löb aus Endingen stammte oder zeitweise dort residierte, ist nicht bekannt.
 
Der erste ständig im Surbtal residierende Rabbiner war vermutlich Jehuda Löb ben Abraham von Pintschoff. Er wird erstmals in einer Urkunde von 1746 genannt, in der er als "Rabbiner in Lengnau und Endingen" unterzeichnete. Er starb um 1750 und wurde mit seiner Frau auf dem Judenäule (alter jüdischer Friedhof der Surbtalgemeinden auf der Judeninsel bei Koblenz) beigesetzt. Sein Nachfolger war von etwa 1750 bis 1758 Rabbi Jakob Levi von Schnaittach, gefolgt von Rabbiner Jakob ben Isserle Schweich aus Metz, der etwa 30 Jahre lang in den beiden Orten tätig war. Unter ihm galt die Bestimmung dass, dass der Surbtaler Rabbiner abwechselnd jeweils drei Jahre lang in Lengnau, danach drei Jahre in Endingen zu residieren hatte. Rabbiner Schweich weihte 1764 die neue Endinger Synagoge ein. 1786 verließ er das Surbtal, um noch bis 1812 (das heißt bis zu seinem 97. Lebensjahr) in Nancy als Rabbiner zu wirken. 
 
1788 bis 1813 war Raphael Ries aus Hagenthal (Hagenthal-le-Bas) im Elsass Rabbiner in Endingen und Lengnau. Er hatte in Hagenthal erfolgreich eine Jeschiwa geleitet. Auch im Surbtal genoss er auf Grund seiner großen Gelehrsamkeit und tiefen Frömmigkeit hohes Ansehen. Er war weiterhin zuständig für die Gemeinde Tiengen: um 1800 nennt er sich in einer Publikation "Raphael ben Abraham, amtierend in Endingen, Lengnau und Tiengen". Nachfolger von Raphael Ries war von 1815 bis 1834 sein Sohn Abraham Ries. Er war 1763/64 in Hagenthal-le-bas geboren, wurde 1793 Rabbiner in Mühringen, seit 1797 Landesrabbiner für den Schwarzwaldkreis des Deutschen Ordens mit Sitz in Mühringen beziehungsweise 1803-1806 mit Sitz in Nordstetten. 1812 kam er als Rabbinatsgehilfe seines Vaters nach Lengnau und Endingen. Wie sein Vater war er noch einige Zeit auch der für Tiengen zuständige Rabbiner, bis 1827 im Zuge der Neuordnung der Synagogenverhältnisse im Großherzogtum Baden Tiengen dem Bezirksrabbinat in Gailingen zugeordnet wurde. Über die Tätigkeiten der Rabbiner Schweich sowie Vater und Sohn Ries - liegen zahlreiche Dokumente vor. Bei schwierigen Entscheidungen holten sich die Rabbiner Auskünfte bei anderen rabbinischen Autoritäten ein.    
 
Die folgenden Rabbiner waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts - in Endingen und Lengnau - tätig: noch während der Zeit von Rabbiner Raphael Ries: Anschel Levi aus Rosheim; er war 1805 bis 1811 als Oberlehrer und Rabbinatsgehilfe in Endingen und Lengnau tätig; von 1815 bis 1818 Abraham Isak Luntenschütz aus Romansweiler im Elsass (vgl. unten Grabinschrift). 
 
Zwischen ca. 1820 und 1860 gab es zwei Rabbinate, eines in Lengnau, eines in Endingen: 

1824 bis 1860 war Wolf Dreyfus Rabbiner in Lengnau. An seiner Seite hatte er seit 1858 Rabbinatsverweser David Josua Guggenheim. Guggenheim sprach neben Oberlehrer Bernheim eine Trauerrede bei der Beisetzung von Rabbiner Dreyfus Ende Mai 1860 auf dem jüdischen Friedhof (siehe Bericht unten). Guggenheim verließ Lengnau 1861.     

1835 bis 1851 Leopold Wyler Rabbiner in Endingen. Sein Nachfolger war als Rabbiner in Endingen von 1854 bis 1858 Rabbiner Dr. Julius Fürst. Dieser ist 1826 in Mannheim geboren als Sohn des vor allem in Heidelberg tätigen Rabbiners Salomon Fürst. Nach seiner Zeit in Endingen war Dr. Fürst kurzzeitig in Merchingen tätig, danach in Bayreuth, Mainz und Aub; zuletzt von 1880 bis 1899 an der Klaus in Mannheim
 
Nach dem Tod von Rabbiner Wolf Dreyfus im Mai 1860 beschlossen die beiden Gemeinden Lengnau und Endingen, das Rabbinat wieder gemeinsam für beide Gemeinden auszuschreiben. Die Besetzung gestaltete sich schwierig, zumal im Blick auf die Besetzung Spannungen zwischen orthodox und liberal Gesinnten in den Gemeinden auftraten. Doch konnte die Stelle schließlich (1861) mit Rabbiner Dr. Meyer Kayserling aus Hannover besetzt werden, der bis 1870 in Endingen und Lengnau geblieben ist und danach einen Ruf nach Pest (Budapest) angenommen hat.    
 
1872 bis 1880 war Rabbiner Salomon Bamberger (geb. 1835 in Wiesenbronn als Sohn des "Würzburger Raw" Seligmann Bar Bamberger, gest. 1918 in Würzburg) in beiden Orten tätig, 1880 wurde er Rabbiner in Niederhagenthal (Hagenthal-le-Bas) und 1886 in Sennheim (Cernay). In Lengnau ist 1875 seine Frau Lea geb. Adler (geb. 1844 als Tochter von Rabbiner Abraham Adler [seit 1845 Rabbiner in Aschaffenburg], gest. 1875 in Lengnau) nach der Geburt ihres achten Kindes gestorben; Rabbiner Salomon Bamberger hat nicht wieder geheiratet. 

Cernay Bamberger 01.jpg (40521 Byte)Cernay FrfIsrFambl 27031918.jpg (29358 Byte)Meldung in der "Frankfurter Israelitischen Gemeindezeitung vom 27. März 1918: "Würzburg. Salomon Bamberger, bis zum Ausbruch des Krieges Rabbiner in Sennheim (Elsass), eine von hohem jüdischen Idealismus getragene Persönlichkeit, ist hier im Alter von 83 Jahren verschieden. Er war einer der letzten, die die so schwer heimgesuchte Ortschaft verließen." 
Foto von Rabbiner Salomon Bamberger und seiner Frau Lea Adler aus einem französischen Artikel über ihn und seine Zeit in Cernay.   

  
1885 wurde das Rabbinat in Endingen und Lengnau nicht mehr besetzt. In diesem Jahr wurde es nach Baden verlegt, wo als erster Rabbiner Dr. Heinz Ehrmann aus Michelstadt eingesetzt wurde. Er blieb in Baden bis 1903 und war von hier aus auch für Endingen und Lengnau zuständig. Bei der Betreuung der in den beiden Orten noch lebenden jüdischen Personen durch auswärtige Rabbiner blieb es auch in der Folgezeit.  
  
Als für Endingen und Lengnau zuständige auswärtige Rabbiner werden genannt: von 1896 bis 1936 der Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich Dr. Martin Littmann aus Elbing (1864-1946 (Link zum Historischen Lexikon der Schweiz); von 1908 bis 1915 der Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Zürich Armin Kornfein Link zur Seite der Israelitischen Religionsgesellschaft in Zürich   Link zum Historischen Lexikon der Schweiz sowie von 1908 bis 1951 der Prediger und Lehrer Meier Schnitzer.  
   
   
   
Texte zur Geschichte des Rabbinates in Endingen und Lengnau      
Über die Grabinschrift des 1818 verstorbenen Rabbi Abraham Luntenschütz im Friedhof der Gemeinden (Artikel von 1924)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. September 1924: "Das Grab des Rabbi Abraham Luntenschütz
Endingen und Lengnau - die beiden Stamm- und Muttergemeinden der schweizerischen Judenheit besitzen seit nahezu 200 Jahren einen gemeinschaftlichen Friedhof (Beit HaKewarot), welches dem heutigen Besucher wie eine Totenstadt mit über zweitausend Bewohnern vorkommt.
Dieser alte, ehrwürdige Friedhof (Beit Olam) ist der schweizerischen Juden schönstes Kulturdenkmal, das ihnen - aber auch uns Fernstehenden - Vieles und Interessantes aus vergangenen Zeiten erzählt.  
Manche Großen des Geschlechtes liegen da begraben, unter denen auch der berühmte Rabbi Luntenschütz - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -, über welchen der in Frankfurt in bester Erinnerung stehende Herr Lehrer Michael Neuberger in Lengnau im 'Jüdischen Wochenblatt' der Schweiz einiges mitteilt: Die Grabstein-Inschrift des vor 106 Jahren heimgegangenen großen Gelehrten Reb Awrohom Jizchok Luntenschütz, Rabbiner von Endingen-Lengnau in den Jahren 1813-1819, lautet wörtlich:    ... 
Hierzu noch einige Bemerkungen: Auffällig und besonders gekennzeichnet ist obige Inschrift schon durch das erste Wort, das hübsch umrandete Hajom ('heute'). Man fühlt gleichsam, wie wenn der Tod dieses Geistesfürsten (hebräisch und deutsch) eine schützende Sühne für alle seine Zeitgenossen war. Fast alle 2.000 Grabsteine auf diesem ehrwürdigen Friedhof tragen obenan die üblichen Buchstaben respektive Wortabkürzungen 'Hier ruht' oder auch wie auf den ganz alten Steinen 'Hier wurde begraben', oder 'Hier liegt aufbewahrt'. Der biblische Ausdruck (hebräisch und deutsch), 'Wagen Jisroels und seine Reiter', den der Prophet Elischa seinem in Himmelshöhen scheidenden Lehrer Elia nachrief, wird heute noch vielfach in den Nekrologen für verstorbene Rabbiner angewandt. Dies soll uns belehren, dass zu jeder Zeit unsere Geisteshelden ihrem Volke soviel Schutz und Waffe waren, wie eine ganze Heeresmacht mit Roß und Reitern. Wenn die Memor-Bücher der elsässischen Gemeinden Balbronn und Westhofen nur einen Eisik Lundeschütz rühmlichst erwähnen, so ist dies doch der Obgenannte. Sehr häufig bezeichnen die Grabsteine auf diesem Friedhof (hebräisch und deutsch) Isaak genannt Eisik. Den Vornamen Awrohom erhielt Luntenschütz beim Gebet anlässlich seiner schweren Krankheit, die er glücklich überstand. - Der angegebene Wirkungskreis durch das Wort Medinateinu ('unsere Länder') in der Pluralform lässt die Möglichkeit zu, dass Luntenschütz etwelche rabbinische Funktionen auch noch von Endingen-Lengnau aus im benachbarten Elsass ausübte. Zum Schlusse sei noch erwähnt, dass man der Geistesgröße Luntenschütz auch in der Wahl seiner Grabesstätte gerecht wurde. In 18. Reihe rechts die unvergesslichen Rabbiner Raphael und dessen Sohn Abraham Ris; links Reb Jehuda Arie, Sohn des Judele Wyler; dazwischen liegt Luntenschütz begraben - sein Verdienst komme uns zugute."    

  
Beitrag über Rabbiner Abraham Isaak Luntenschütz (Awrohom Jizchok Lunteschitz; Artikel von 1927)     

Artikel in "Der Israelit" vom 15. Dezember 1927: "Awrohom Jizchol Lunteschitz. Ein Schweizer Gaon von J. Fröhlich in Baden (Schweiz).
Das Prophetenwort (Hosea 14,6): 'Ich werde wie der Tau sein für Israel, es wird blühen wie die Rose, und Wurzeln schlagen wie der Libanon', kommentiert Malbim wie folgt: Zu den naturgeschichtlichen Phänomenen gehört die Jerichorose. Sie wurzelt nicht fest im Boden, der Wind trägt sie in die entferntesten Länder, durch Wüsten und Steppen, aber überall belebt sie der Tau des Himmels und lässt sie in Pracht und Schönheit wieder erblühen. Ist dies nicht ein Symbol für Israel? So sehr auch bei seiner Wanderung durch die Länder und Völker Sturm und Wetter ihm entgegenbrausten, Golus-(Diapora-)Elend, Druck und finsteres Leid es niederdrückten, es blüht doch wieder in Schönheit auf, weil der Allgütige es ist, der seine Erhaltung will und zur Lösung seiner Aufgabe drängt.
In allen Ländern der jüdischen Diaspora hat diese Sturm-Israelrose ihre geistigen Blüten entfaltet, auch in dem Lande, wo man sie heute weniger sucht, wo man viel eher in wilder Sportlust nach der Alpenrose sucht, sie schmückend an den Hut steckt, um sagen zu können, dass man im schönsten Tempel der Natur verweilt hat, in der Schweiz. Der Tourist, der sie heute besucht, um ihre himmelragenden Berge, ihre blauen Seen zu bewundern und im Genusse ihrer balsamischen Höhenluft gesundheitlich zu erstarken, er ahnt nicht, dass es Zeiten gegeben hat, wo auch in diesem Lande Israels köstlichstes Kleinod, die heilige Tora eine Heim- und Pflanzstätte ihn geradezu klassischem Ausmaße gehabt hat. Aber nicht im Lärm der Großstadt durfte man sie suchen, dort wohnen heute die Epigonen jener Geistespioniere, die kaum die Erinnerung an die Glanz- und Blütezeit bewahrt haben.
Wenn man auf einer der verkehrsreichsten Linien der schweizerischen Bundesbahnen, auf der Strecke Basel-Zürich, im Limmatstädtchen Baden, dass durch seine heilenden Thermalquellen einen Ruf hat, aussteigt, kann man mit dem Auto in einer schwachen halben Stunde die Ortschaften in Endingen und Lengnau, die Stammgemeinden der Schweizer Juden erreichen. Dort pulsierte noch vor einem halben Jahrhundert warmes jüdisches Leben und in der abgelegenen Stille des schweizerischen Subtals widerhallten die Wände des Beshamidrasch von den Disputationen des Abajeh und Rowoh wo so laut und feurig, dass die letzte Hütte in den Dörfern wie von der elektrischen Zentrale eines Großstadtwerks erhellt wurde. Nicht von ungefähr entzündeten sich die Tora-Liebesflammen. Führer, ausgerüstet mit einem immensen Wissen, beispielgebend in Lehre und Leben sorgten dafür, dass Jugend und Alter auf den Höhen des Judentums blieben. Davon lesen wir nichts im Ulrich, Geschichte der Schweizer Juden, der heute leider fast einzigen Quelle der Geschichte unserer Schweizer Stammesgenossen. Aber es fehlt doch nicht an Urkunden, dass lernbeflissene und toradurstige Jünglinge in die damaligen Hochburg Fürth, Westhofen, Buchsweiler unter den damals obwaltenden schwierigen Reiseverhältnissen sich begaben, um den Segen über die Heimatgemeinde zu ergießen. Wir lesen im Neuda Bijehudoh von Korrespondenzen mit schweizerischen Toragelehrten und wir wissen auch, dass bei einer das jüdische Gemeindeleben tief aufwühlenden Affäre ein Chasam Sofer als entscheidende Instanz angerufen wurde, dass der Kehillo in nicht misszuverstehender Deutlichkeit die hohe Würdigkeit ihres geistigen Führers ins Bewusstsein rief.
Heute gehen die alten schweizerischen Muttergemeinden den Leidensweg aller Landgemeinden in tragischer Erfüllung des Talmudwortes: ... Aber unbewusst zittert doch ein Heimweh durch die jüdische Seele und wir erleben etwas, was in seiner Art nicht allzu häufig ist in der Geschichte der jüdischen Gegenwart. Vor kurzem hat sich ein Komitee konstituiert zur Erhaltung des jüdischen Friedhofs in Endingen-Lengnau. Die Initiative ist ausgegangen von Männern, die dem praktischen Judentum großenteils entfremdet sind; sie nennen es Pietät, Liebe zu Heimat, die sie zu ihren dankenswerter Bestrebungen veranlasst hat. In Wirklichkeit ist es, ohne dass die Initiatoren sich dessen bewusst sind, ein Stück Psychoanalyse. Ein Seelenfunke beginnt im Gedanken an die Väterzeit zu glimmen und in kurzer Zeit sind erkleckliche Summen beieinander, um den geweihten Boden, auf dem die Väter ruhen, durch Schutzmaßnahmen der Zukunft zu erhalten. So ist seit einem Jahre die vom Zahn der Zeit zerbröckelte Mauer, die die alte Totenstätte umgibt, durch eine neue, sturm- und wetterharte ersetzt worden. Die Grabdenkmäler, von Moos und wildem Gestrüpp bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wurden aufgefrischt und die verblassten und verwitterten Schriftzüge treten in neuer Vergoldung leichtleserlich zu Tage.
Bei einem dieser neugewandeten Grabsteine bleiben wir stehen, ein Baum hält davor Wache, weil der, der hier gebettet ist, auch ein Baum gewesen ist, Blüten und Früchte zu gleicher Zeit tragend. Die Blüten sein reiches Wissen und edles Leben, die Früchte die Einpflanzung seiner hohen Ideen in Gemeinde und Schule. Lesen wir einmal die Inschrift dieses schlichten Denkmals: 'Am heutigen Tage (24. Elul 5575) haben Wolken, den Himmel umdüstert und zu unserem tiefen Schmerze einen Fürsten aus unserer Mitte hinweggetragen, den Gaon, Qagen Israels und seinee Reiter, den scharfsinnigen, weit über die Grenzen unseres Landes berühmten Gelehrten Abraham Isak Lunteschitz. Aw bes Din .... Trotz aller liebenden Fürsorge, den Stein zu erhalten, (er wird noch eine Generation sich erhalten vielleicht noch eine), ob am Ende nicht doch die Schärfe des Zeitenzahnes ihn zermalmen wird.
Aber auch dies schadet nicht. Sowie nach einem Jahrhundert das Andenken dieses Großen in Israel plötzlich wieder in uns lebendig geworden, so werden, ohne dass Menschenhände daran sich mühen, die unsterblichen Werke von Rabbi Lunteschitz uns vor Augen halten, dass die Zaddikim im Tode noch größer sind als im Leben.
Über den Geburts- und Heimatort des Gelehrten konnten wir einweilen Näheres nicht erfahren. Wir sind bei den biografischen Daten auf gelegentliche Notizen und zerstreute Urkunden in den Gemeinden angewiesen. Aber gerade dieses Fehlen der lebensgeschichtlichen Daten ist im Ruhmeskranze dieser Männer die feinste Blume. Es ist nichts Seltenes, dass die Persönlichkeit großer Männer hinter ihren Werken zurücktritt. Man erkennt darin ihre Demut und Bescheidenheit, sie fühlen sich klein in Anbetracht der Größe ihrer Lebensaufgabe.
Im Memo Buch der Gemeinde Westhofen (ich verdanke diese Mitteilung Herrn Rabbiner Guggenheim in Buchsweiler) lesen wir, dass Rabbi Lunteschitz ein Schüler von Rabbi Wolf in Buchsweiler gewesen ist (er spricht von seinem Lehrer in den rühmlichsten Worten und führt gelegentlich seine Entscheidungen an), hervorragend in Tora- und profanem Wissen, dass er Verfasser einer Anzahl von tiefgründigen Werken ist, zum Beispiel Chiduschim über die Traktate Babah, Meziah und Brochaus (damals noch im Manuskript vorhanden) und in Westhofen eine große Jeschiwoh geleitet hat. In einem anderen Werke des Verfassers gedruckt bei W. Heidenheim, 1813 Uhr ist in der umfangreichen Vorrede auch manches von den wechselnden Lebensschicksalen des Verfassers berichtet. Voll Dankbarkeit für Gottes unerschöpflichen Güte überblickt er die einzelnen Phasen seines Daseins. Die Rettung von schwerer Krankheit im jugendlichen Alter haben die Änderung seines ursprünglichen Namens beziehungsweise eine Hinzufügung veranlasst. Eine Feuersbrunst bringt ihn in Lebensgefahr. Auf ganz wunderbare Weise wird ihm die göttliche Hilfe zuteil, als er nach Verschlucken einer großen eisernen Nadel nur noch eine dünne Wand zwischen sich und dem Tode sieht. Aber noch war das Maß der Prüfungen nicht voll. Rabbi Lunteschitz musste noch den schrecklichsten der Schrecken erleben, als der Mensch in seinem Wahn sich ihm näherte. Bis in die stille Klause des Bes Hamidrasch zu Westhofen drang das Wetterleuchten der französischen Revolution. Unter ihrem Tosen und Klirren verstummen die Musen der heiligen Tora. Was kümmert einen Napoleon das Bes Hamidrasch zu Westhofen? Eine Atmosphäre der Todesangst überall. Unser Lunteschitz, bei dem Tora uGedolah vereinigt waren (er spricht von dem Reichtum seines Hauses) verliert Hab und Gut; aber das hindert ihn nicht, seiner heiligen Aufgabe zu leben. Eines Tages finden wir ihn, wie er selbst sagt, ... in den Mauern des Gefängnis, weil er selbst im Moment der Gefahr die heilige Tora liebend in seine Arme geschlossen und als sorgsamer Wächter seiner Gemeinde auf seinem Posten verharrte. Vom 26. Tamus 5554 bis 9. Aw schmachte er im dunklen Gelasse. Er fühlte sich nicht allein. 'Wäre nicht deine Tora mein Gespräch, so ruft er rührend; ich wäre vergangen in meinem Elend. Noch war die Gefahr nicht beschworen, als er wieder in Freiheit gesetzt wurde. Die Ausübung der göttlichen Gebote war unmöglich. Toralernen und Gebet, das Anlegen der Tefillin und Zizzis, die Beobachtung von Schabbos und Festtagen, alles war unter Androhung von Todesstrafe verboten. Es ist ergreifend, zu vernehmen, wie Lunteschitz die unfreiwillige Muse verwendet hat. Ohne jedes Hilfsbuch, lediglich auf sein Gedächtnis angewiesen, denkt er im Gefängnisse nicht nur über Tora nach, er verarbeitet die schwierigsten Materien und ordnet sie in ein System, dessen Tiefe und Gehalt wir nachher im Druck bewundernd lesen. Was ist unser heutiges Gott-dienen, so fragen wir billig, gegenüber diesen Märtyrer in der heiligen Tora?
Welche Materie war es nun, die Lunteschitz in Gefängnismauern beschäftigt hat? Sie war durch die Zeit und ihre Schrecken gegeben. In den Wirren der Revolution waren gar viele gezwungen worden, den heiligen Schabbos zu entweihen. Sie wurden zu Haus- und Feldarbeiten herangezogen, aber jeder Schaufelwurf und Spatenstich war eine schmerzhafte Verwundung ihrer jüdischen Seele. Man wusste damals noch, was der Schabbos bedeutete; er, die Krone der Schöpfung, Zierde des Judentums, mit dem es steht und fällt.
Nachdem der Sturm der französischen Revolution in seiner furchtbaren Heftigkeit verrauscht war, war Tag und Nacht Besuch bei den Rabbinern. Nach Buße schrie die heilige Seele, man suchte Unterweisung, wie die schwere Sünde der Sabbatentheiligung, obzwar man dazu gezwungen worden war, gwtilgt werden könne. Unter Heranziehung von Talmud und Decisoren, Rischaunim und Acharaunim prüfte nun Rabbi Lunteschitz die Frage, wie unter den obwaltenden Umständen vom Standpunkte des Gesetzes die Sabbatentweihung zu bewerten sei und die Erörterung dieses Themas in dem Werke ...  gehört zu dem tiefsten des ganzen Buches. Ein Hauch der Tossafisten-Schule ist darin zu verspüren, unter dessen Nachwirkungen noch heutigen Tages viel gutes Ackerland für das Judentum und seine Forderungen im Elsass zurückgeblieben ist, dass nur weiser Anpflanzung bedarf. Jedenfalls sind die besonderen Umstände, aus denen die Erörterung der Frage erwachsen ist, dem Historiker ein "     
Gradmesser für jüdisches und religiöses Leben der Juden in Frankreich um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Vergleich mit der Gegenwart, wo skrupellose Sabbatentweihung leider das alltägliche ist, ist für uns beschämend.
Noch anderes Ziel unterschied es in den Kreis der Besprechung, was schon wegen seiner ewigen Aktualität nicht unterdrückt werden darf.
Es gibt heute so viele, die die Tora, dass Gottesbuch nur insoweit anerkennen, als es ihrem persönlichen Geschmack entspricht. Nur den Edelstein brechen sie aus der Krone der Tora, der mit beruhigendem Glanz ihnen ins Leben leuchtet. Daran ist die Unwissenheit schuld, die nicht von Schuld befreit. In überzeugender Beweisführung redet Ihnen Lunteschitz zu Herzen, sie mögen auch dass ihnen unbedeutend Scheinende als hochwichtig bewerten und nicht und daran denken dass es die Lehre Gottes ist, die in allen Teilen ihren Lebensweg zu erhellen geeignet ist. So berichtet der Talmud in ... Ein Heide, der um Aufnahme ins Judentum bittet, unter der Voraussetzung, ein einziges Gebot unerfüllt zu lassen, wird zurückgewiesen. Auf denjenigen, der ausspricht, das ganze Gesetz sei göttlichen Ursprungs, außer einer einzigen Bestimmung, ist der Schriftvers angewandt: 'das Wort Gottes hat er verworfen'  (Traktat Sanhedrin). Auch die so genannte Geseraus Hakosuv, derjenige Teil des Gottesgesetzes, der in seiner letzten Zweckbestimmung dem Sterblichen ein Rätsel bleiben wird, ist in der praktischen Erfüllung ein Mittel der seelischen Läuterung und Heiligung. Die Gesetze der Völker wechseln, weil äußere Momente, dass Utilitätsprinzip für das einzelne Volk und Land, sie geschaffen haben. Im jüdischen Gesetz hat auch die soziale Abteilung Ewigkeitswert, weil der himmlische Schöpfer sie mit höheren inneren Motiven ausgestattet hat.
Es gibt für uns keine voraussetzungslose Wissenschaft. Wer den Glauben an die Tradition aufgegeben hat, soll die Schwelle des Toraheiligtums nicht betreten. Große Denker mögen eine mathematische Aufgabe spielend lösen, Sinn und Anmut der Tora wird nur demjenigen bewundernd aufgehen, dem die Überzeugung von der Wahrheit der Überlieferung tief im Herzen verankert ist, und er mit einer nie versagenden Mühe und Anstrengung sie täglich sich erringen muss.
Und hier kommt er mit einem flammenden Appell, mit lohendem Feuer auf einen Missstand zu sprechen, der heute gewiss nicht minder verderblich ist. Bequemlichkeit, dass Scheuen von Mühe und Anstrengung im Felde der höchsten Erdenpflicht, die unselige Absplitterung der Lernenden an Stelle fruchtbarer Gesamtdiskussion, vor allem aber die Meinung, die süße Torafrucht müsste auf dem Präsentierteller gerecht werden, alle diese Faktoren sind schuld an der religiösen Gleichgültigkeit und den mageren Erfolgen. 'Dabei bringen es manche fertig, in missverstandener Auslegung der Werke von Großen in Israel dem Pilpul  das Todesurteil zu sprechen. Sie verweisen auf das Werk meines berühmten Großvaters (Ollelos Ephrajim) und auf den Sheloh, die angeblich den Pilpul verpönt hätten. Nur oberflächliche Leser können dies behaupten. Die Methoden gewisser Pilpulisten, die von der Fahrstraße des ... abweichen und deswegen zu falschen Schlüssen gelangen, werden mit Recht gegeißelt. Sie haben aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass nur das Toralernen ... Früchte trägt.' 
Wer in viele Lernstuben der jüdischen Gegenwart hineinblickt, wo die schwierigsten Talmudpartien in unverstandener Hast, wie eine Maschine abgehaspelt werden, als wären es tote Buchstaben und nicht Worte des lebendigen Gottes, der fühlt die Berechtigung des zornigen Aufflammens, mit dem Rabbi Lunteschitz unter Hinweis auf Talmud Sabbat, Fol. 31 an unser Gewissen rührt.
Wir sehen, Abraham Jizchok Lunteschitz hat auch unserer Zeit noch Manches zu sagen, was Beachtung verdient. Das Komitee für die Erhaltung des Friedhofs in Endingen-Lengnau hat sich ein Verdienst erworben, dass es den Grabstein dieses Großen einer Renovation unterzogen hat. Wenn es bewirken sollte, dass die goldenen Worte von Rabbi Lunteschitz unser Herz zu jüdischer Tat begeistern, dann dürfen wir an einem Ferientag auch diese weltvergessene Stelle des Schweizerlandes in Dankbarkeit betreten. Die Wirkung für unsere Innenleben wäre vielleicht nicht minder bereichernd und wohltuend wie das Alpenglühen im ewigen Schneegebirge."   

  
Zur Ausschreibung der Rabbinatsstelle in Endingen (1852)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. August 1852: "Ober-Endingen, 15. Juli (1852). Die durch Abberufung erledigte hiesige Rabbinatsstelle wird durch den tit. Kantonsschulrat nächstens ausgeschrieben. Zu diesem Behufe wurde die hiesige israelitische Vorsteherschaft von der hohen Regierung aufgefordert, ein Regulativ über Requisiten, Pflichten und Leistungen des Rabbiners zu entwerfen, welchem hohen Auftrage Letztere unverzögert nachgekommen ist. Es ist gewiss nicht gleichgültig, was für ein Mann an diese Stelle kommt. Bis hierher waren unsere Schulen die einzigen Stätten, worin etwas für Bildung und Aufklärung geschah. Die Synagoge blieb teilnahmslos für die Bildungsinteressen und stabil in ihrer ganzen Haltung. Mit dem Austritt aus der Schule war für die Jugend aller Bildungsprozess abgeschnitten. - Das soll anders werden! - Soll die Einwirkung der Schule nachhaltig sein und nicht ein Indifferentismus für höhere Interessen und wahre Religiosität die besseren Elemente verzehren, so muss ein tüchtiger Rabbi durch Predigt, Lehre und Beispiel Bildung und Religiosität fördern und heben. Darum wünscht die große Mehrzahl unserer Gemeinde einen wackern, wissenschaftlich gebildeten, natürlich auch und vor allem in den jüdischen Fächern bewanderten Prediger und Volkslehrer, der vorzüglich durch seinen würdigen Charakter der Gemeinde imponieren könnte. Ein solcher würde der Unterstützung der Gemeinde und der hohen Regierung gewiss sein und auch bei der christlichen Schweiz zur Achtung des Judentums beitragen."   

  
Eingabe der israelitischen Vorsteherschaft Endingen an den Regierungsrat (1853)  

Endingen AZJ 21021853.jpg (228349 Byte) Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Februar 1853: "Oberendingen, 8. Februar (1853). Der 'Schweizerbote' bringt folgenden Artikel, den ich in der Allgemeinen Zeitung des Judentums mitzuteilen bitte.  
Bereits zu Mitte des vorigen Jahres überreichte die israelitische Vorsteherschaft zu Oberendingen namens ihrer Gemeinde dem Regierungsrate den Entwurf eines besonderen Regulativs für einen jeweiligen Rabbiner mit dem Gesuche, demselben seine hoheitliche Sanktion erteilen zu wollen. Es folgten indessen diesem Regulative bald, mit Berufung auf die vortreffliche Rabbinatsverordnung für das Königreiche Württemberg vom Jahre 1841, mehrere abweichende Wünsche von gebildeten Israeliten, und eine nähere Untersuchung des Gegenstandes durch den damaligen Kantonsschulrat stellte den Entwurf der Vorsteherschaft wirklich auch als durchaus ungenügend dar, indem derselbe sowohl die wissenschaftliche Berufsbildung als das Lehramt der Rabbiner in einem viel zu engen und obsoleten kreise beschrieb. Der Referent des Schulrats - Herr Seminardirektor Keller - arbeitete hierauf das Ganze an der Hand hierseitiger Gesetze und Verordnungen für Theologie, sowie in Benutzung anderwärts bestehender Rabbinatsinstruktionen und in besonderer Berücksichtigung diesseitiger Verhältnisse vollständig um, und es wurde das in dieser Weise umgearbeitete Regulativ nun auch der israelitischen Vorsteherschaft zur beförderlichen Abgabe ihrer Ansichten und weiteren Wünsche in der Sache mitgeteilt.  
Wie man vernimmt, wurde der Gegenstand mit großem Interesse aufgenommen und namentlich von den Gebildeten beider Gemeinden einlässlich besprochen, indem man auch in Lengnau das Heilsame, ja Notwendige einer solchen Rabbinatsverordnung einsah und für sich eine ähnliche wünschte.  
Nachdem nun auch den Wünschen und Ansichten derer, die als billig und verständig erscheinen, Rechnung getragen worden - ist der Regierungsrat in die endliche Beratung des Ganzen eingetreten, hat das nach dem Urteile gebildeter und wohldenkender Israeliten den gegenwärtigen Zeitverhältnissen Rechnung tragende Regulativ unverändert gut geheißen und zu einer förmlichen Regierungsverordnung für die beiden israelitischen Rabbinate von Oberendingen und Lengnau erhoben.   
Gleichzeitig wurde die Erziehungsdirektion ermächtigt, die Ausschreibung der erledigten Rabbinatsstelle in Oberendingen nach Mitgabe dieser Verordnung zu formulieren und der Vorsteherschaft daselbst zur gutfindenden Veröffentlichung zuzustellen. Wir werden demnächst kurzmöglichst auf die Hauptgrundzüge dieses auch für ein größeres Publikum Interesse darbietenden Regulativs zurückkommen.  
So weit der Schweizerbote. 
Sie sehen aus verschiedenen neuesten Verordnungen unserer hohen Regierung, in welcher Männer sitzen, die auf der Höhe der Zeit stehen, dass dieselbe gründlich und besonnen die Emanzipation der aargauischen Israeliten anbahnt. Mehrere öffentliche Blätter besprachen die Verordnung, wonach die Israeliten Militärdienst leisten müssen, in einem sehr günstigen Tone für die Israeliten und das Schweizervolk sagt: Wenn sie d'Laste hend, müend sie au d'Rechte ha." 

      
Ausschreibung des Rabbinats in Endingen (1853)  

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. März 1853: "Ausschreibung der Rabbinatsstelle in Endingen
Diejenigen Rabbiner, welche sich um das Rabbinat der israelitischen Gemeinde Endingen, Kantons Aargau in der Schweiz bewerben wollen, haben sich bis zum 31. Mai nächsthin bei der Tit. Erziehungsdirektion in Aarau dafür anzumelden und ihrer Anmeldung beizulegen:  
a) befriedigende Zeugnisse über einen makellosen, religiösen Lebenswandel von anerkannten Rabbinern und Behörden; 
b) genügende Ausweise über ein mindestens dreijähriges Studium der mosaischen Theologie auf einer Hochschule;  
c) ein ordnungsgemäß erworbenes Rabbinatsdiplom von einem anerkannte gelehrten Rabbiner.  
Außerdem hat jeder Angemeldete entweder durch die gesetzlichen Prüfungen oder durch sonst genügende Ausweise sich von der Staatsbehörde ein Maturitäts- und ein förmliches Wahlfähigkeitszeugnis zu erwerben, und, wenn er gewählt wird, die ihm zu hierseitiger Niederlassung notwendigen Schriften beizubringen. 
Mit der ausgeschriebenen Stelle ist, nebst freier Wohnung und einigen Akzidenzien, eine fixe, jährliche Besoldung von wenigstens 1.200 Franken verbunden.  
Endingen, am 14. März 1853.  
Namens der Vorsteherschaft: Der erste Vorsteher: Gustav Dreyfuß.  Der Gemeindeschreiber: Salomon Wyler."  

   
Das Bezirksrabbinat Merchingen wird mit Dr. Julius Fürst, bisher in Endingen besetzt (1858)       

Merchingen AZJ 15031858.jpg (101729 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 15. März 1858: "Aus dem Rabbinatsbezirke Merchingen (Baden), im März (1858). Das Rabbinat Merchingen ist nun wieder definitiv besetzt. Bei der am 27. Dezember vorigen Jahres stattgehabten Beratung der 17. Vorsteher des Bezirks wurde Herr Dr. Julius Fürst, zur Zeit Rabbiner in Endingen in der Schweiz, einstimmig zum diesseitigen Bezirksrabbiner gewählt, welche Wahl nun auch bereits Großherzoglicher Oberrat und hohes Ministerium genehmigt hat.   
Diese Wahl hat im ganzen Lande Sensation erregt, denn man glaubte sicher, dass der diesseitige Bezirk einen Mann von altem Schrot und Korn, d.h. der nur Lamden und Chusid (sc. frommer Talmudgelehrter) ist, wählen würde. Allein das alte lateinische Sprichwort: die Zeiten ändern sich und mit ihnen ändern auch wir uns, hat sich auch hier wieder bewährt. Jede Zeit macht ihre Anforderungen geltend, und dringt, trotz aller Hindernisse, endlich durch. Auch bei uns ist man zur Überzeugung gelangt, dass ein Rabbiner mehr als Talmud kennen muss, wenn er seiner hohen Aufgabe zeitgemäß entsprechen soll.  
In dem Gewählten glauben wir den Mann gefunden zu haben, der mit gediegenen talmudischen Kenntnissen auch ein anderweitiges gründliches Wissen verbindet, und der bei seinem sanften Charakter, so Gott will, recht segensreich wirken wird, wozu ihm ein weites Feld geboten ist."

    
1854 bis 1859 war Rabbiner Dr. Julius Fürst Rabbiner in Endingen, vgl. Bericht zum Tod von Rabbiner Dr. Julius Fürst (1899)       

Mannheim RabFuerst AZJ 29091899.jpg (264111 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 29. September 1899: "Mannheim, 22. September. Am 5. des Monats verstarb dahier im Alter von 73 Jahren der Rabbiner Dr. Julius Fürst, der über 19 Jahre als Klausrabbiner in hiesiger Stadt gewirkt hatte. Derselbe erfreute sich des Rufes eines hervorragenden Gelehrten auf dem Gebiete der orientalischen Sprachwissenschaften, denn er verfügte nicht nur über ein umfassendes jüdisch-theologisches Wissen, sondern auch über eine Kenntnis der klassischen und orientalischen Sprachen. Mit Vorliebe beschäftigte er sich mit der Erforschung der griechischen und lateinischen Fremdwörter, die sich in den Talmuden und Midraschim in sehr großer Zahl vorfinden. Zahlreiche Abhandlungen, die er in den angesehensten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht hat, vor allem sein 'Glossarium graeco-hebraeum', das er in einer besonderen Audienz dem Großherzog überreichen durfte, zeugen sowohl von der Meisterschaft, womit er diese Materie beherrschte, als auch von seinem hervorragenden Wissen und seiner ausgedehnten Belesenheit. Mit namhaften zeitgenössischen Fachgelehrten fand er in regem Briefwechsel, und für die fernere Bearbeitung der talmudischen und midraschischen Lexikographie werden die Leistungen des Entschlafenen stets ein schätzenswerter Beitrag bilden. Indessen erstreckte sich auf sein Forscherfleiß auf zahlreiche allgemein literarische und historische Fragen, und es seien von seinen zahlreichen Abhandlungen aus den verschiedensten Gebieten nur die über 'Das peinliche Rechtsverfahren im jüdischen Altertum', über die Lessing'sche Ringparabel und endlich seinen letzten Aufsatz, der den rastlosen Gelehrten bis in seine letzten Lebenstage beschäftigte, über 'König Saul' erwähnt, in dem er seine Ehrenrettung dieser gewaltigen biblischen Gestalt unternahm. J. Fürst wurde im Jahr 1826 als Sohn des dortigen Rabbiners in Heidelberg geboren. 1854 wurde er selbst Rabbiner in Endingen, 1859 in Bayreuth, später in Mainz neben Aub. Die Beerdigung verlief am 7. des Monats unter zahlreicher Beteiligung der Gemeindemitglieder und des Vorstandes der Gemeinde in der dem edlen Entschlafenen gebührender Weise. Rabbiner Dr. Steckelmacher sprach am Grabe unter Zugrundelegung von Jeremiah 31, 12 und hob namentlich hervor den edlen Forscherdrang des Verewigten, die Idealität seiner Lebensbestrebungen und wie er in ihnen volles Genügen fand und volle Befriedigung. Er hatte mannigfache kleine Anfechtungen zu erfahren, aber 'seine Seele war wie ein getränkter Garten', eben infolge jener inneren Befriedigung wie auch infolge seines innigen Familienglücks und der warmen Anerkennung der auserlesenen Schar derer, die den inneren Wert und Gehalt eines Menschen zu würdigen verstehen. Er war auch während der beiden Tagungen der Synode durch das Vertrauen der Rabbiner des Landes zum geistigen Synodalmitglied gewählt worden und beide Male Alterspräsident. Er war ein edel anspruchsloser, bescheidener und immer heiterer, gemütvoller Mann. Immer und überall war ihm die Möglichkeit, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen, 'die heilige Zionshöhe, auf der seine Seele in erhabenen Wonnen schwelgte, in den Wonnen wahrhaft idealen und auch fruchtbaren Thorastudiums, auf der er die Segensfülle des Ewigen in vollen Strömen genoss, von der aus ihm auch mancherlei Kümmernisse wie in fernen, tiefen Niederungen sich verloren.' Möge dem Verstorbenen die Erde leicht sein! "    
 
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Oktober 1899: "Mannheim, 1. Okt. (Verspätet). Am ersten Tage (Hebräisch) verstarb dahier im Alter von 73 Jahren der Klausrabbiner Dr. Julius Fürst. Er wurde im Jahre 1826 als Sohn des Heidelberger Rabbiners geboren. 1854 wurde er Rabbiner in Endingen, 1859 in Bayreuth und später Mainz. 1880 wurde er als Rabbiner an der hiesigen Klaussynagoge angestellt. Mit ihm ist ein hervorragender Kenner der orientalischen Sprachen, der auf literarischem Gebiete eine fruchtbare Tätigkeit entfaltete, aus dem Leben geschieden. Außer zahlreichen Abhandlungen in jüdisch-wissenschaftlichen Zeitschriften, so besonders in der 'Revue des études juives', veröffentlichte er auch ein 'Glossarium graeco-hebraicum', das von seinem Wissen und seiner Belesenheit auf diesem Gebiete beredtes Zeugnis ablegt. – Fürst gehörte zwar in seinen Anschauungen der Reformrichtung an, war jedoch Andersdenkenden gegenüber von einer seltenen Toleranz, wie er überhaupt in hervorragender Weise durch menschlich-schöne Eigenschaften ausgezeichnet war. Seine heitere Gemütsart, die Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit, mit der er jedem entgegenkam, gewannen ihm alle Herzen und so werden ihm alle, die ihn kannten, ein freundliches und liebevolles Andenken bewahren."   

      
In Endingen ist das Rabbinat nach dem Weggang von Rabbiner Dr. Fürst vakant (1859)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom  18. Juli 1859:  "Ober-Endingen, 4. Juli (1859). In Baden im Aargau haben die Juden nun sich förmlich zu einem Kultusvereine verbunden und hierfür ein Statut entworfen, das sie von dem hohen Regierungsrate sanktionieren lassen und ihren Vorstand und Sekretär gewählt. Die Religionslehrerstelle daselbst, mit welcher auch das Kantoramt verbunden ist, wird in nächster Zeit im Amtsblatte und in der Zeitung des Judentums ausgeschrieben werden. Besoldung 800 Fr.   
Im eidgenössischen Dienste stehen an der italienischen Grenze 22 Juden von Endingen und Lengnau. Darunter ein Divisionsfähnrich, ein Oberleutnant und mehrere Graduierte. Die israelitische Gemeinde Endingen zahlt den im Felde stehenden Soldaten aus ihrer Mitte täglich 40 Centimes = 12 Fr. Soldzulage.   
Unlängst machte ein aargauisches Blatt, 'Freie Presse', seine hämische Bemerkung darüber, dass der Bundesrat eine auswärtige Angelegenheit durch einen Israeliten in Chaux-de-Fonds besorgen ließ. Das Aarauer Tageblatt rügt dieses Benehmen der 'Freien Presse', und bemerkt hierzu, dass der Bundesrat schon noch einmal eine Angelegenheit im Auslande durch einen aargauischen Juden besorgen ließ und es nicht zu bereuen habe. - Beim jüngsten Schwurgerichte in Aarau war ein Jude Mitglied. - Unrichtig wurde unlängst von Genf aus berichtet, dass es zwei Rabbinate in der Schweiz gebe, sondern wir haben deren drei: Genf, Lengnau und Endingen. Letzteres ist noch immer vakant. Und das kommt daher, weil einige Wenige aus unserer Gemeinde sich bemühten, einen Mann von altem Stile an die Stelle zu bringen, was ihnen schwerlich gelingen wird, da sowohl Gesetz als Behörde, sowie die Gemeinde hierfür wenig geneigt sind. Letztere hat sogar die Absicht, einem Rabbiner, dessen Wirken ihren Beifall erhalten wird, den Gehalt um ein Bedeutendes zu erhöhen. Unser künftiger Rabbiner darf nur seinen Obliegenheiten, die keine andern sind als diejenigen, die ein Seelsorger, der Beruf fühlt, von selber erfüllt, nachkommen, so erwirbt er sich die Zuneigung der Gemeinde und der Regierung, sowie des weiteren Publikums und verschafft sich somit eine gute Stellung sowohl in moralischer als materieller Beziehung, da einem solchen die vielen zerstreuten Gemeinden der Schweiz zum großen Teile zufallen werden. M. G. Dreifus, Lehrer."      


Zum Tod des Lengnauer Rabbiners Wolf Dreifuß (1860)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juni 1860: "Aargau. Lengnau, 31. Mai (1860). Heute, am letzten Tag des Frühlingsmonats, trugen wir unsern verewigten Religionsvater, Rabbiner Dreifuß zu Grabe. Das Leichenbegängnis war Beweis der Liebe und Achtung, in der er gestanden. Mehr als 500 Menschen nahmen Teil, und von allen Glaubensgenossen, die außerhalb der Heimatgemeinde wohnen, fehlte niemand. Der Tote war dessen würdig; 76 Jahre alt geworden, hat er 40 Jahre in voller Pflichttreue der Gemeinde gewidmet. Zu einer Zeit geschult und gebildet, da noch vieles im Wege und hinter unserer Zeit stand, hat er sich einen Grad von Menschenkenntnis und wissenschaftlicher Bildung erworben, der bewundernswert war. Man muss den Talmud kennen, um dies zu beurteilen; es bedarf hier nicht nur Begabung, scharf und tiefe Auffassung, sondern auch strenges, wissenschaftliches Studium, und der Verblichene hat es hierin so weit gebracht, dass er allen denen Hochachtung einflößte, welche ihn in dieser Beziehung näher kennen lernten. Mit dieser seiner religiösen Wissenschaft, der er bis zu seinem Tode gelebt, ist sein tadelloser Lebenswandel Hand in Hand gegangen; tugendhaft in jeder Beziehung, freundlich gegen jedermann, tolerant für jede Geistesrichtung im Stillen wohltätig, gewissenhaft und pflichttreu - das waren die Eigenschaften, die ihm jedes Herz gewannen, sodass niemand bei uns ist, der sich durch seinen Tod nicht verwaist fühlte. Das Weltliche hat er nur, soweit immer notwendig, besorgt und seinem ideellen geistigen Beruf gelebt, zurückgezogen, anspruchslos bei einem Wert und innern Gehalt, der nicht leicht ersetzt sein wird. 
Das Gepräge dieser Gefühle trug auch der Leichenzug ernste und tiefe Trauer auf allen Gesichtern, starke Männer weinten Tränen kindlichen Schmerzes. Ergreifend und allen aus der Seele gesprochen waren die Worte, die unser verehrter Oberlehrer Bernheim beim ersten Ruhepunkt des Leichenzuges sprach, ebenso der auf dem Gottesacker vom Rabbinatsgelehrten D. Guggenheim gesprochene Nachklang: die unaufhaltsam rinnenden Tränen - er war Freund und Gefährte des Verstorbenen, ja dessen rechte Hand gewesen - erstickten oft seine Rede. Beiden Rednern gebührt öffentlicher Dank, ihre Worte sind uns unvergesslich. Möge der Verblichene im Jenseits alle die Ruhe und Glückseligkeit finden, die eine makellose Tugend in diesem Leben versprochen. (Aargauer Nachrichten.)."     
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Juli 1860:  "Lengnau, im Juli (1860). Am 29. vorigen Monats erlitt die hiesige Gemeinde einen herben Verlust durch den Tod ihres greisen Rabbinen W. Dreifuß. Es sind demnach die Rabbinate beider Schweizergemeinden Endingen und Lengnau vakant. Man weiß noch nicht, ob sich diese einander nahe gelegenen Gemeinden zu einem Rabbinate vereinigen werden oder nicht. Die Orthodoxen in Endingen, resp. die Würzburgianen, haben wieder einen neuen Anlass, ihre Rabbinerwahl, zu welcher die Gemeinde von Seiten der Regierung aufgefordert ist, hinauszuschieben, denn der ihr präsentierte Kandidat, der, wie uns scheint, ein sehr gelehrter Mann sein muss, will denen, welche sich stets als die Vormünder der Gemeinde aufwerfen, nicht munden. Herr Rabbiner Dr. K. in A. in Galizien möge hierdurch wissen, dass er allein von der zur Wahl präsentiert ist, die aber, wie bemerkt, durch das mittlerweile eingetretene Hinscheiden des seligen Rabbiners Dreifuß in Lengnau verzögert werden wird... B."        

   
    
1860 beschlossen die Gemeinden Endingen und Lengnau die Verbindung ihrer beiden Rabbinate zu einem gemeinsamen Rabbinat:  
        
Die Gemeinden Endingen und Lengnau bilden ein gemeinsames Rabbinat (1860) 

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. September 1860: "Endingen, Kanton Aargau. Die Kreierung des Rabbiners beschäftigt jetzt alles Gemüter. Wir werden mit unserer Nachbargemeinde Lengnau nunmehr ein Rabbinat bilden. Beide Gemeinden, mit 240 jüdischen Familien, gehören der streng orthodoxen Richtung (bis auf verschwindend wenige Ausnahmen) an und da die letzte Entscheidung den Gemeinden zusteht, so werden wir nur solch einen Rabbinen aufnehmen, auf dessen Gesetzestreue auch nicht der Schatten eines Verdachts fällt. Dreimal wurden der Gemeinde Endingen (vor der Vereinigung mit Lengnau) Neologen von der Regierung vorgeschlagen, und dreimal wurde die Annahme derselben refüsiert; unsere Schwestergemeinde ist von denselben Gesinnungen durchdrungen.  ...n."  

   
Ausschreibungen der Rabbinatsstelle Endingen-Lengnau (1860)  

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Februar 1860: "Die durch Resignation erledigte Stelle des Rabbinates in der israelitischen Gemeinde Endingen, Kantons Aargau, wird hiermit nach Anleitung der Regierungsverordnung vom 4. Hornung 1853 wiederholt zur Wiederbesetzung ausgeschrieben. Die Bewerber haben ihre Anmeldung bis zum 7. April bei der israelitischen Vorsteherschaft von Endingen einzureichen, und derselben, nebst einer kurzen Darstellung ihres Lebens- und Bildungsganges beizulegen:  
a. befriedigende Zeugnisse über einen makellosen, religiösen Lebenswandel von anerkannten Rabbinern und Behörden;  
b. ein Maturitätszeugnis, welches sie sich von der Tit. Erziehungs-Direktion hierseitigen Kantons entweder durch die gesetzliche Maturitätsprüfung, oder aber durch genügende Ausweise über eine gründliche, wissenschaftliche Vorbildung zu erwerben haben;  
c. akademische Zeugnisse darüber, dass sie die allgemeinen wie besonderen Vorbereitungswissenschaften zum Studium der Mosaischen Theologie wenigstens drei Jahre auf einer Hochschule mit Erfolg und gutem Betragen studiert haben;  
d. ein Rabbinats-Diplom von einem anerkannt gelehrten Rabbiner, womit sie sich über ihre gründliche wissenschaftliche Bildung in der Mosaischen Theologie, sowie auch über die ordnungsgemäß erworbene Rabbinatswürde ausweisen.  
Nach Maßgabe dieser Ausweise wird die Behörde den Bewerbern entweder sofort ein förmliches Kompetenz- oder Wahlfähigkeitszeugnis erteilen und sie der Gemeinde zur Wahl präsentieren, oder aber mit den nicht gehörig Ausgewiesenen eine besondere Konkursprüfung anordnen. Der Gewählte hat, wenn er ein Landesfremder ist, vor der hoheitlichen Bestätigung die ihm zur hierseitigen Niederlassung notwendigen Schriften beizubringen.  Mit der Stelle ist nebst freier Wohnung und den vorschriftgemäßen Akzidenzien eine fixe jährliche Besoldung von wenigstens 1400 Franken, in vierteljährlichen Raten, verbunden.
Endingen, im Aargau, 13. Februar 1860. 
Der erste Vorsteher: Moses Sal. Dreifuß."    
 
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. September 1860: "Das vereinigte Rabbinat der eine halbe Stunde voneinander gelegenen israelitischen Gemeinden Endingen und Lengnau, hierseitigen Kantons, wird hiermit nach Anleitung der Regierungsverordnung vom 4. Hornung (= Februar) 1853 zur Besetzung ausgeschrieben. Die Bewerbung haben ihre Anmeldung bis zum 27. Weinmonat (= Oktober) bei der Erziehungsdirektion einzureichen, und derselben, nebst einer kurzen Darstellung ihres Lebens- und Bildungsganges, beizulegen:  
a. befriedigende Zeugnisse über einen makellosen, religiösen Lebenswandel von anerkannten Rabbinern und Behörden! 
b. ein Maturitätszeugnis, welches sie sich von der Erziehungsdirektion entweder durch die gesetzliche Maturitätsprüfung oder aber durch genügende Ausweise über eine gründliche, wissenschaftliche Vorbildung zu erwerben haben; 
c. akademische Zeugnisse darüber, dass sie die allgemeinen wie besonderen Vorbereitungswissenschaften zum Studium der mosaischen Theologie wenigstens drei Jahre auf einer Hochschule mit Erfolg und gutem Betragen studiert haben; 
d. ein Rabbinatsdiplom von einem anerkannt gelehrten Rabbiner, womit sie sich über ihre gründliche wissenschaftliche Bildung in der mosaischen Theologie, sowie auch über die ordnungsgemäß erworbene Rabbinatswürde ausweisen.  
Nach Maßgabe dieser Ausweise wird die Behörde den Bewerbern entweder sofort ein förmliches Kompetenz- oder Wahlfähigkeitszeugnis erteilen und sie der Gemeinde zur Wahl präsentieren, oder aber mit den nicht gehörig Ausgewiesenen eine besondere Konkursprüfung anordnen. Der Gewählte hat, wenn er ein Landesfremder ist, vor der hoheitlichen Bestätigung die ihm zur hierseitigen Niederlassung notwendigen Schriften beizubringen. 
Mit der Stelle ist nebst freier Wohnung und den vorschriftsgemäßen Akzidenzien eine fixe jährliche Besoldung von wenigstens 2.400 Franken, in vierteljährlichen Raten, verbunden. Die näheren Obliegenheiten sind bei der unterzeichneten Behörde zu erfahren.  
Die Erziehungsdirektion.
   
        Dieselbe Anzeige erschien in der Zeitschrift "Jeschurun" vom Oktober 1860 S. 64-65 (links) und in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18. September 1860 (Mitte).

       
Vier Rabbiner werden von der Regierung vorgelegt (1860)    

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Dezember 1860: "Aus dem Aargau, 12. Dezember (1860). Die Regierung unseres Kantons hat den Gemeinden Endingen und Lengnau zum Behufe ihrer Rabbinerwahl aus der Anzahl der Bewerber vier wahlfähige vorgelegt, aus deren Mitte sie binnen Monatsfrist ihren Rabbiner zu wählen haben. Es sind sämtlich Namen von gutem Klange, zum Teil nicht ohne längere Lebenserfahrung und wissenschaftliche Zelebrität. Wie wir glauben, ist in diesem Vorschlage sowohl der gemäßigte, aber entschiedene Fortschritt, als auch die redliche und vernünftige Orthodoxie vertreten, aber nicht der Zelotismus. Die Vorschriften für die Funktionen des Rabbiners sind auch nicht für einen Zeloten. Es ist die Predigt für jeden Sabbat, die Konfirmation, die sabbatliche religiöse Unterweisung der erwachsenen Jugend bis zum achtzehnten Jahre vorgeschrieben, lauter Dinge, die bei den Altfrommen 'Stuss' sind. Demnach ist unser Rabbinat nicht für einen Zeloten geschaffen; denn von jenen Forderungen wird nicht abgegangen, wenn auch einige Händereiber glauben, man nehme es nicht so genau. Ob nun jene mittelalterliche Glorie uns zuteil werden wird, wie sie ein Korrespondent aus Endingen im 'Israelit' (Nr. 18)  sich in seiner Phantasie ausmalt, wird sich zeigen. Hingegen müssen wir gegen jene lügenhafte Aussage des gleichen Korrespondenten protestieren, nach welcher die Regierung der Gemeinde Endingen vor ihrer Vereinigung mit Lengnau nur 'Neologen' zur Wahl vorgelegt. Jeder Unbefangene hierorts weiß, aus welcher trüben Quelle jene Angabe kommt. Die Regierung hat der Gemeinde Endingen nur ehrenwerte Männer präsentiert, von denen einer das Rabbinat beinahe vier Jahre innehatte, und auch jetzt hätte die Stelle in Endingen durch einen neu präsentierten ehrenwerten Bewerber besetzt werden müssen, wenn nicht der plötzliche Tod des Herrn Rabbiners in Lengnau der Sache eine andere Wendung gegeben hätte, indem nun die beiden Gemeinden zu einem Rabbinate vereinigt wurden. Der geneigte Leser wolle übrigens selber urteilen, welch ein Charakter ein so insultierender Angriff gegen eine loyale Regierung hat, im Augenblick als dieselbe ohne äußere Anregung die Staatskasse öffnet, um den Israeliten einen Beitrag zur Rabbinerbesoldung zukommen zu lassen! - Wir ersuchen alle sich hierfür Interessierungen jene Invektiven nicht als Ausdruck auch nur eines ansehnlichen Teils einer unserer Gemeinden aufzunehmen."    

  
Zur Situation um die Besetzung des Rabbinates (1861)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Januar 1861: "Endingen (Schweiz). Es wurde unlängst in der allgemeinen Zeitung des Judentums behauptet, Herr Rabbiner Adler aus Aschaffenburg sei von der Bewerbung um unsere erledigte Rabbinatsstelle zurückgewiesen, weil er den Protest der oorthodoxen Rabbinen gegen Ph. mit unterzeichnet. Der Unterzeichnete befindet sich in der Lage, diese Nachricht als eine tendenziöse Erfindung zu bezeichnen. In den beiden vereinigten Gemeinden Lengnau und Endingen bildet die sogenannte Reformpartei eine verschwindend kleine Minorität; wir werden nicht allein keinen Rabbinen im Ph.'schen Sinne und Geiste, sondern auch keinen nur indifferenten erhalten; der Wunsch der beiden Gemeinden, fünf oder sechs Glieder derselben abgerechnet, geht vielmehr dahin, einen Mann an die Spitze ihrer religiösen Angelegenheiten zu berufen, dem es heiliger Ernst um die unverkürzte Erhaltung unseres väterlichen Gesetzes ist; ja, es ist mit Gewissheit vorauszusehen, dass selbst in dem Falle, dass wir getäuscht werden sollten, ein Neologe oder ein Indifferenter sich weder hier noch in Lengnau wird halten können. Benedikt Dreifuß."     

  
Streit um die Berufung von Rabbiner Dr. Wassermann aus Mühringen (1861)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Mai 1861: "Von der Limmat, Ende April (1861). Die Berufung des Rabbiners Wassermann aus Mühringen in Württemberg, der im Geruche der Neologie steht, auf die vereinigte Rabbinatsstelle Endingen - Lengnau hat diese Gemeinden, wie wir uns aus eigener Anschauung zu überzeugen Gelegenheit hatten, in eine wahrhaft schmerzliche Situation versetzt. Es kann dies nicht überraschen. Wer weiß, wie diese beiden Gemeinden in früheren Jahren, und insbesondere die Gemeinde Lengnau bis vor kurzer Zeit noch, das Glück hatten, von streng orthodoxen Rabbinern geleitet zu werden, wer ferner weiß, wie die konservativ-religiöse Richtung, die heißeste Liebe zur angestammten väterlichen Religion alle Schichten der jüdischen Einwohnerschaft beider Gemeinden durchdrungen und von Alt und Jung in Wort und Tat durchs Leben getragen wird, den kann die angedeutete Unruhe über die gedachte Besetzung nicht befremden. Diese Berufung geschah natürlich weder durch mittelbare noch unmittelbare Beteiligung der beiden in Frage stehenden Gemeinden; im Gegenteil, es ward in dieser Hinsicht unzweideutig die vorherrschende Meinung in einem offiziellen Akt manifestiert. Es hatten sich nämlich auf die geschehene Auskündigung der Vakanz mehrgenannten vereinigten Rabbinats zehn, oder noch mehr, Rabbiner gemeldet. Von diesen wurden von der Kantonal-Regierung zu Aarau drei Kompententen den Gemeinden zur Wahl präsentiert. Unter diesen dreien war ein Dr. F. aus D. und auch der im Eingang erwähnte Rabbiner Wassermann aus Mühringen. Aus der Wahlurne ging aber Dr. F. fast mit Stimmeneinhelligkeit hervor und eine freudige Bewegung erfüllte die Leute, weil einlässliche Ergebungen Herrn Dr. F. als einen Mann ganz nach Wunsch erscheinen ließen. Die Wahl erhielt aber die Sanktion der Kantonalregierung nicht, und nach einigen weiteren Manipulationen ward von dieser Kollegial-Behörde plötzlich Rabbiner Wassermann berufen. Wie wir schon früher vernommen haben, soll letzterer von allen Bewerbern allein die Ehre genießen, mit dem vorsitzenden Rat in Aarau zu gleicher Zeit in Tübingen die Universität frequentiert zu haben. - Der Berufene war Samstag den 20. dieses Monats Paraschat acharei Keduschim in Endingen und predigte über den Text: 'und liebe deinen Nächsten wie dich selbst'. Über den Gehalt der Predigt äußern wir uns nicht, da wir physisch abgehalten waren, zur Zuhörerschaft zu gehören. - Werden den Rabbiner Wassermann gewisse äußere Wahrnehmungen vielleicht veranlassen, die ihm übertragene Stelle abzulehnen. Wir wollen sehen. Nach unserer Ansicht kann ein Geistlicher nur dann mit Segen wirken, wenn - Vertrauen seine Rabbinatsbefohlenen zu ihm erfüllt; es dürfen in den beiderseitigen religiösen Anschauungen keine unversöhnlichen Gegensätze vorwalten".      

  
Spannungen zwischen Orthodoxen und Liberalen im Blick auf die Rabbinerwahl - von der Regierung wird Rabbiner Dr. Wassermann berufen (1861) 

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Mai 1861: "Ober-Endingen, im Mai (1861). Der Kampf zwischen der orthodoxen und der Fortschrittspartei hat sich zu Gunsten der letzteren entschieden. Tatsache ist es, dass trotz allen Winkelzügen und Machinationen, mit denen die Orthodoxen für ihren Kandidaten, Herrn Dr. Feilchenfeld zu Felde zogen, wobei die Anschwärzung der liberalen Kandidaten (wir wollen nicht sagen Verleumdung) einen Hauptfaktor bildete, es nun am Ende so weit gekommen ist, dass Herr Dr. Wassermann, Rabbiner in Mühringen, von der hohen Regierung berufen wurde. Wir glauben, dass diese Wahl eine glückliche sei, und wenn Herr Dr. Wassermann dieselbe annimmt, so sind wir berechtigt zu hoffen, dass dadurch ein bedeutender Schritt geschehen ist zur Hebung nicht nur der aargauischen, sondern sämtlicher Israeliten in der Schweiz."     

  
Wahl von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1861)   
Anmerkungen: Weiteres zur Person von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1829 Gleidingen - 1905 Budapest) siehe Wikipedia-Artikel "Mayer Kayerling"  

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. September 1861: "Aarau, 28. August (1861). Der 'Schweizerbote', das Organ der hiesigen Regierung, bringt unter dem 27. August folgende Mitteilung: 'Nachdem die israelitischen Gemeinden Endingen-Lengnau die Wahl eines Rabbiners für dieses Mal dem Regierungsrate überlassen und abgetreten, so hat die Behörde auf den Vorschlag der Erziehungsdirektion den Herrn Rabbiner Dr. M. Kayserling aus Gredingen in Hannover, wohnhaft gegenwärtig in Berlin, zum Rabbiner der gedachten Gemeinden gewählt. Da der Gewählte sich nicht nur als Gelehrter durch treffliche Schriften über die Geschichte und Literatur seines Volkes bekannt gemacht hat, sondern auch, auf vielseitig eingezogene Erkundigungen bei anerkannten Gewährsmännern, von Seite seines Charakters und seiner übrigen Persönlichkeit einstimmig bestens empfohlen worden ist, so darf die Wahl eine glückliche und der Wohlfahrt der beiden Gemeinden, wie wir hoffen, segensreiche genannt werden.' 
Wie wir hören, hat Herr Dr. Kayserling die Wahl angenommen. Das Rabbinat ist bekanntlich durch die Vereinigung der beiden früher geteilten Rabbinate Endingen und Lengnau zu einem ansehnlichen gewachsen. Die Annahme der Wahl hat hier im Kanton umso mehr Freude gemacht, als Herr Dr. Kayserling auch von der Gemeinderepräsentanz in Frankfurt an der Oder gewählt worden war, dort aber abgelehnt hat."   

  
Amtseinführung von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling (1862)  

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. Januar 1862: "Endingen, im Dezember (1861). Der 7. Dezember, Schabbat Paraschat Wajigasch (= Sabbat mit der Toralesung Wajigasch = 1. Mose 44,18-47,27) war für die israelitische Gemeinde Endingen ein freudiger und erhebender Tag. Trotz der schlechten Witterung und der seit dem Krawall vom 28. Oktober hier herrschenden Missstimmung brachte dieser Tag der Amtseinführung unseres vielverehrten Herrn Rabbiners Dr. Kayserling Heiterkeit in die Gemüter. - Morgens 10 Uhr, eine halbe Stunde nach dem Gottesdienste, wurde Herr Dr. Kayserling in einem festlichen Zuge von seiner Wohnung nach der Synagoge geführt. Das Bezirksamt mit Schreiber und Weibel, die Vorsteherschaften zu Endingen und Lengnau, die Schulpflege, die Lomdim, die Schuljugend, von ihren drei Lehrern geführt. Die Mädchen waren mit Kränzen geschmückt. Am Portal der Synagoge und an der Kanzel waren schöne Kränze mit passenden Inschriften angebracht. In der Synagoge nahmen Bezirksamt, Rabbinat und die ersten Vorsteher ihren Platz auf der Tribüne. Der gemischte Sängerchor, zum größten Teil aus der Schuljugend bestehend, stellte sich auf die Terrasse beim Tabernakel. Feierliche Eröffnung durch einen deutschen Choral. Der Amtsschreiber verlas den regierungsrätlichen Erlass über die Wahl des Herrn Dr. Kayserling. In einer gut gehaltenen Rede empfahl der Bezirksamtmann dem Rabbiner die nun seiner Leitung unterstellten Gemeinden. Der Chor sang ein sehr passendes Weihelied. Der Rabbiner bestieg die Kanzel. Tief ergriffen setzte er in einer dreiviertelstündigen Rede die ihm gewordene Aufgabe auseinander und in welchem Sinne und Geiste er sie zu lösen sich vornehme. Die ebenso klare und bündige als tief gefühlte Rede verfehlte ihren Eindruck nicht und wirkte erhebend und begeisternd auf die Zuhörer. Nach der Predigt wurde abermals ein Choral und Le Keelohenu gesungen. Nachmittags ein Festessen, das auch die Frau Rabbiner, Tochter des Herrn Dr. Philippson, mit ihrer Gegenwart beehrte, wo es sehr gemütlich herging. Die Trinksprüche der Heiterkeit verliehen den Gemütern Ausdruck. Lehrer Dreifus sprach von Nacht und Licht, wie die Rabbinatswirren die Gemeinde in ein dunkles Labyrinth geführt und wie der Regierungsrat den Ariadnefaden zum Ausgang gefunden, wie der Name Kayserling gleich einem Zauberworte die beunruhigten Geister beschwichtigt. die bisherigen Vorgänge deuten auf ein segensreiches Wirken des neu eingeführten Rabbiners. Oberlehrer Bollag sprach von der Vereinigung der Gemeinden, die es möglich gemacht, einen würdigen Rabbiner zu erwerben, und empfahl fernere Vereinigung zur Erreichung so edlen Zweckes. Das Mahl wurde gewürzt durch die Toaste der Herren Bezirksamtmann, Rabbinat, Vorster etc. -  
Der Tag ist als ein heiter, ernster, wohltuender würdig, in die Annalen von Endingen-Lengnau eingetragen zu werden mit dem Schlusssatze, der den Wunsch unserer Gemeinde ausspricht: Möge der Herr unsern würdigen Rabbiner Dr. Kayserling zum segensreichen Wirken inmitten unserer Gemeinde erhalten!"     

     
Zum Abschied von Rabbiner Dr. Kayserling (1870)  

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. Oktober 1870: "Endingen, 5. September (1870). Das Scheiden unseres bisherigen Rabbinen, Herrn Dr. Kayserling, hat hier, in Lengnau und den anderen Orten seiner Wirksamkeit ein sehr schmerzliches Bedauern erregt. Die ungewöhnliche Pflichttreue, die Besonnenheit, Sicherheit und Bescheidenheit, welche diesen Mann auszeichnen, und die ihm eine bedeutende Wirksamkeit erleichtern, sind uns erst recht ins Bewusstsein getreten, da wir ihn nach neunjähriger Funktion verlieren sollten. Es ist nicht meine Absicht, die wesentlichen Verdienste zu besprechen, welche sich Herr Dr. Kayserling in der Schweiz erworben, und die sich ebenso nach Innen und nach Außen erstrecken, die ebenso eifrig für die bürgerliche Gleichstellung und den Schutz des jüdischen Kultus gegen jeden Angriff, wie für die Hebung aller geistigen Interessen der Juden sich geltend machten, und sehr wahrnehmbare Veränderungen bewirkten, ohne dass Kämpfe und Stürme zu Tage traten. Die Teilnahme bei seinem Abschiede neigte sich denn auch in mannigfachen Äußerungen der Einzelnen, aber auch seitens der Gesamtheit. Donnerstag Abend fand ein großes Festessen statt, bei welchem von der Vorsteherschaft namens der Gemeinde ein sehr schön gearbeiteter Pokal mit passender Inschrift überreicht wurde. Samstags Nacht wurde ein Fackelzug gebracht, dem sich die Gesangvereine, Israelitische und Christliche anschlossen. Die Kantonalregierung hat dem Scheidenden in der Antwort auf sein Entlassungsgesuch die ehrendste Anerkennung und das Bedauern über seinen Abgang ausgesprochen. Bei der Abreise drängte sich Alles heran, um dem Scheidenden noch einmal die Hand zu drücken. Wir hegen hier keinen andern Wunsch, als dass Herr Dr. Kayserling in seinem neuen Wirkungskreise ebensoviel Liebe und Anhänglichkeit sich zu verschaffen das Glück habe, wie er hier hinterlassen hat."           

  
Artikel von Rabbiner Dr. Meyer Kayserling über "Die freien Schweizer" (1889)         

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 15. August 1889:          
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Zum Tod von Rabbiner Dr. Meyer Kaiserling (1905)    

Endingen AZJ 28041905.jpg (407855 Byte) Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. April 1905:          
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Stand: 30. Juni 2020